Von Anfang an war der Fuchs da. Als Zeichen. Als Schatten. Als stiller Begleiter. Die 13. Berlin Biennale nimmt die Präsenz von Stadtfüchsen im Berliner Stadtraum als einen ihrer kuratorischen Ausgangspunkte – und mit ihm die Idee der Flüchtigkeit. Die Begegnung mit einem Fuchs, so beschreibt es das Konzept der Kuratorin Zasha Colah, sei keine Identifikation, sondern ein Moment der Gleichzeitigkeit, der Gleichwürdigkeit: ein Innehalten in der Gegenwart eines Anderen, ohne Zuschreibung, ohne Ordnung. Doch wie lange bleibt der Fuchs wirklich wild, wenn er sich zu nah an die Stadt wagt?
Von der Anpassung zur Zähmung
In der urbanen Biologie ist klar: Stadtfüchse haben sich angepasst. Sie nutzen menschliche Infrastruktur, durchstöbern Mülltonnen, bewegen sich auf leisen Pfoten durch Hinterhöfe und Parks. Sie zeigen Verhaltensweisen, die an Domestizierung erinnern – doch, wie Expert*innen betonen: Domestizierung ist ein langer, gezielter Prozess, der nicht mit bloßer Nähe oder Koexistenz beginnt. Der Fuchs bleibt scheu, solange er frei bleibt. Ist die Kunst in der Stadt noch frei? Hier beginnt die eigentliche Frage dieser Biennale: In welchem Verhältnis steht das Kunstwerk – das noch als wilder, gesetzesbrechender Fuchs gedacht wird – zu den Ordnungen, die es umzingeln? Und: Welche Kräfte versuchen, es zu zähmen?
Die Kunst als Fuchs
Zasha Colah beschreibt das Kunstwerk als Träger von „Flüchtigkeit“, als etwas, das seine eigenen Gesetze definiert, sogar dort, wo es sich gegenüber legislativer Gewalt behaupten muss. Dieses Foxing, dieser Begriff für das trickreiche Unterlaufen normativer Systeme, erinnert in seiner Doppelbödigkeit an den Stadtfuchs selbst: Er lebt im Dazwischen, im Schatten, in der Nische. Aber genau so wie der Fuchs nicht mehr ganz wild ist, sobald er sich der Stadt annähert, so ist auch das Kunstwerk nicht mehr unberührt, sobald es im System der Biennale, der Presse, des Marktes zirkuliert. „Wir lehnen jede vorgefasste Entscheidung darüber ab, was ein Kunstwerk ist“, heißt es im offiziellen Statement der Biennale. Doch was geschieht, wenn das Kunstwerk von Sammler*innen etikettiert wird, von Presse rezensiert, von Institutionen gerahmt?
Die schnellen Zähmungskräfte
Die Kräfte der Domestizierung sind in der Kunstwelt wesentlich schneller als in der Tierwelt. Was bei Füchsen Jahrhunderte bräuchte – Zucht, Geduld, Selektion –, das gelingt der Kunstwelt mit ein paar gezielten Handgriffen: Die Presse schreibt Bedeutungen fest, zähmt das Unlesbare durch Interpretation. Die Sammler*innen markieren Territorium durch Kauf, Kontext und Versicherungssummen. Die Institutionen bieten Schutzzonen, deren Eintritt Bedingungen unterliegt. Die Biennale, so wild sie sich gebärdet, steht unweigerlich im Blick dieser Domestizierungsmaschinen. Nie war die Verwandlung vom anarchischen Kunstfuchs zum zahmen Kulturhund so effizient wie heute.
Wem gehört der Fuchs? Wem gehört die Kunst?
Der Stadtraum wird in der Biennale zum Denkraum. Der Fuchs wird zur Figur der Selbstbehauptung – aber auch zum Maßstab: Wie weit kann ein Kunstwerk gehen, bevor es gezähmt ist? Wenn ein Fuchs sich nähert, wünscht er nicht, domestiziert zu werden. Er wählt Nähe, keine Unterwerfung. Ebenso das Kunstwerk: Es sucht Resonanz, aber nicht Kontrolle. Doch: Wir sind Menschen. Bei uns geht alles schneller. Was der Natur Jahrtausende abverlangt, das schafft der Kunstbetrieb in wenigen Monaten: Ein Werk wird gezähmt, indem es verwertet wird.
Flüchtigkeit als Widerstand – oder als Label?
Der Versuch, Flüchtigkeit als kuratorischen Modus zu behaupten, ist radikal. Doch er bleibt in Spannung zur Realität des Betriebs. Was als poetische Gleichzeitigkeit mit dem Fuchs gedacht war, wird leicht zur Pose, sobald es auf Titelseiten, in White Cubes, auf VIP-Listen erscheint. Diese Biennale wird daran gemessen werden, wie sie es schafft, sich selbst nicht zu zähmen. Oder, um im Bild zu bleiben: Ob sie mit dem Fuchs tanzt – oder ihm nur eine Leine aus Gold anlegt. Vielleicht aber bleibt am Ende – ganz im Sinne des kuratotischen Progamms – nur der Moment der Begegnung. Ein kurzer Blick. Eine Minute Innehalten. Und dann: Verschwindet der Fuchs wieder.