Im Sommer 2021 eröffnete nach sechsjähriger Sanierung die Neue Nationalgalerie in Berlin erneut ihre Türen. Sie wurde in den 1960er Jahren von dem Stararchitekten Ludwig Mies van der Rohe entworfen. Seit der Wiedereröffnung ist der Andrang auf die Ausstellungen groß. Einen Time Slot bekommt man nicht spontan. Ich spreche aus Erfahrung.
Die Neue Nationalgalerie ist im Besitz einer großen Sammlung mit Werken aus der klassischen Moderne. Das heißt von Künstler*innen, die in den frühen bis mittleren 2000er Jahren gelebt und gearbeitet haben. Von Dadaismus über Surrealismus, Expressionismus und Kubismus ist alles dabei. Viele Künstler*innen lebten in dieser Zeit in Berlin, weshalb in einigen Werken der Bezug zur Großstadt zu erkennen ist. Aber auch Themen wie Krieg, Politik, Modernisierung und Abstraktion spielen eine bedeutende Rolle.
Zu sehen gibt es in der Neuen Nationalgalerie derzeit 3 Ausstellungen: die Dauerausstellung „Kunst der Gesellschaft. 1900 – 1945. Sammlung der Nationalgalerie“ sowie die begleitende Ausstellung zur Architektur des Gebäudes „Die Neue Nationalgalerie. Ihr Architekt und ihre Baugeschichte.“ sind noch bis zum noch bis zum 02. Juli 2023 zu sehen. Die Wechselausstellung „Gerhard Richter Künstlerbücher“ ist noch diesen Monat bis 29.Mai zu sehen.
Bei meinem Besuch bin ich immer wieder auf kleine Details gestoßen, die mich fasziniert haben oder bei denen ich einfach lächeln musste. Ich habe meine 5 Lieblinge zusammengestellt. Voilà.
1. Ein süßes Wesen in einem Stillleben von Ernst-Ludwig Kirchner
Da sitzt der kleiner, ich will eigentlich sagen schnuckeliger, Drache und schaut schmunzelnd vom oberen Rand des Bildes auf die Szenerie herab. Ernst-Ludwig Kirchner (*1880, † 1938) war ein deutscher Maler und berühmt für seinen expressionistischen Stil. Etwas simpel gesprochen heißt das, er schreckte nicht vor Farbigkeit, schwungvollen Linien und Emotionen zurück. Das Bild „Stillleben mit chinesischem Porzellan“ hängt in der Dauerausstellung der Neuen Nationalgalerie und protzt vor Farbigkeit, kommt sonst aber vergleichbar unaufgeregt daher. Nichtdestotrotz malte Kirchner ganz 18 Jahre an dem Gemälde – von 1920 bis 1938. Ob ihn der kleine Drache das ein oder andere Mal im Traum verfolgt hat?


2. Alles OK
Wenn ich Künstlerin wäre, wären meine Initialien HK. Das ist schon okay, aber eben nicht OK! Wie lässig ist bitteschön die Unterschrift „OK“? Da hat es Oskar Kokoschka (*1886, † 1980) schon gut getroffen, denn auf einmal bekommt jedes seiner Bilder eine neue Ebene. Sie sind immer mit „OK“ gestempelt. Als Betrachter:in fragt man sich dann automatisch, sind die Werke wirklich nur okay oder vielleicht so viel mehr? Litt er wie viele Künstler:innen an Selbstzweifeln und fand seine Bilder bloß „OK“? Das „Portrait von Bessie Bruce“, von dem diese Detailaufnahme stammt, hat mich jedenfalls sehr fasziniert. Ihr solltet sie euch unbedingt in der Dauerausstellung anschauen. Denn es ist eine Arbeit, die für mich eindeutig mehr als okay ist.
3. Ähnlichkeiten aber keine Gemeinsamkeiten
Die Künstlerin Hannah Höch ist für ihren dadaistischen Stil bekannt. Ich erinnere mich, dass ich schon als Kind und Jugendliche von ihren Arbeiten fasziniert war. Da gab es immer viel zu gucken. Collagen aus Zeitungbeiträgen mit Bild und Schrift. Alles wirkte politisch, auch wenn ich als Heranwachsende nur die Hälfte verstand. Es fühlte sich sehr rebellisch an und nach genau dem was ich suchte. In der Neuen Nationalgalerie hängen ebenfalls Arbeiten von Hannah Höch. Vielleicht auch weil sie meine Namensvetterin ist, blieb mein Blick mal wieder sofort an ihren Kunstwerken hängen. Auf der Infotafel entdeckte ich dann ein Portrait von ihr. Und mein erster Gedanke war: sie sah ja aus wie ein weiblich gelesener Bully Herbig. Humor spielte in Hannah Höchs Arbeiten eine ziemlich große Rolle, denn Dada allein ist eine Parodie auf die damalige Kunst. Bei all dem Witz durfte ein politisches Anliegen nicht fehlen. Satirische Kunst eben und kein „Der Schuh des Manitu“ oder „Traumschiff Surprise“.


4. Schöner lässt sich ein Besuch im Museum nicht beschreiben
Museen überlegen sich immer neue Dinge, um einen Austausch mit den Besucher*innen zu ermöglichen und interaktive Erlebnisse zu schaffen. In der Neuen Nationalgalerie wurde dafür ein abgetrennter Bereich errichtet, an dem die Besucher*innen ihre Gedanken auf Zetteln niederschreiben können. Auf einem Zettel entdeckte ich die schönste Emotion seit Langem: Eine Zeichnung des sogenannten „ungewohnten Gefühls“. Eine Person muss das Gewicht von 4 Köpfen tragen. Auf jedem Kopf spiegelt sich eine andere Emotion wider. Wut, Trauer, Freude. Manchmal weiß man in Ausstellungen gar nicht wo man hingucken soll und wie man sich dabei fühlen soll. Außerdem wirkt es wie eine große Last, unter der die Person taumelt. Ich kenne genau dieses Gefühl von Ausstellungsbesuchen. Und sicherlich werde ich in Zukunft an diese gelungene Zeichnung zurückdenken: Danke Unbekannt.
5. He is Mies
Wer ist noch Kind der 2000er? Damals sagten wir mies, wenn etwas cool, krass oder einfach geil war. Als hätte der gute Mies van der Rohe, Star-Architekt und Erbauer der Neuen Nationalgalerie, das gewusst, als er sich lässig auf dem Freischwinger zurücklehnte. Das Museumsgebäude wird nicht ohne Grund in der Architekturszene verehrt und kritisiert zu gleich. Der imposante, verglaste Eingangsbereich schwebt auf acht Säulen. Die eigentlichen Ausstellungsräume befinden sich im Keller. Bei der Sanierung, die 6 Jahre lange dauerte und im Sommer 2021 beendet wurde, gab es viele Details auf die geachtet werden musste. Nicht nur der Teppich stand unter Denkmalschutz und musste aufwendigst reproduziert werden. Auch mussten sämtliche Gläser ausgetauscht werden, da die ursprünglichen Gläser Wind und Witterung nicht mehr standhalten konnten.
Ob ich trotz allem Respekt für die Architektur froh bin, dass alte weiße Cis-Männer mit Zigarre auf Freischwingern mittlerweile eher out sind? Definitiv. Auf dem Foto sieht Mies trotzdem mies lustig aus.


6. Zusatz: Foto Polke und Richter
Gerhard Richter, Deutschlands Künstlerstar, ist für mich noch nie besonders spannend gewesen. Dazu kommt, dass die aktuelle Wechselausstellung in der Neuen Nationalgalerie über seine Künstlerbücher von Fans für Fans gestaltet wurde. All das ist völlig legitim und trotzdem für mich nicht besonders interessant. Daher wollte ich erst gar nicht davon berichten. Doch dann bin ich auf dieses Bild gestoßen. Ein Foto der Schwergewichte der deutschen Kunstwelt Sigmar Polke und Gerhard Richter, wie sie wie zwei Teenager im Bett liegen. Es sieht aus als würden sie kichern, weil sie sich gerade eine viel zu spannende Horrorgeschichte erzählt haben. Das Bild hat mich berührt. Es hat gerade keine Freischwinger und Zigarren Mentalität und dadurch was sehr Nahbares. Vielleicht gehe ich in die nächste Richter Ausstellung doch mit einer anderen Einstellung.
Mein Fazit
Wenn ihr in Berlin wohnt oder zu Besuch seid, solltet ihr euch die Neue Nationalgalerie nicht entgehen lassen. Die Dauerausstellung zeigt die mit bedeutendsten Werke der deutschen Kunstgeschichte zwischen 1900 und 1945. Vielleicht entdeckt ihr ja bei eurem Besuch das ein oder andere Detail.
Selbst wenn euch kein Kunstwerk und auch kein Detail gefällt, werdet ihr einen Besuch nicht bereuen. Denn (diesen Witz kann ich mir jetzt nicht verkneifen) das Gebäude ist einfach mies schön.