…and off with their heads!
Das Phänomen der Bilderzerstörung ist schon so alt, dass man sich fragen könnte, ob die Zeitgenoss*innen der steinzeitlichen Höhlenmaler*innen nicht bereits aus Protest und Unzufriedenheit die Wandbemalungen abrubbelten. Ursachen für diese Form des Vandalismus gibt es viele, ebenso Beispiele, denn Menschen scheinen sich immer an Darstellungen aufzureiben, die nicht mit ihrer individuellen oder kollektiven Weltwahrnehmung d’accord gehen.
Neben Anhänger*innen der Reformation, die im 16. Jahrhundert Nasen und Hände von christlichen Skulpturen abschlugen, gibt es französische Revolutionäre, die Kirchen und Königsstatuen niederbrannten oder den so genannten Islamischen Staat, welcher die antike Stadt Palmyra in Syrien quasi dem Erdboden gleich machte. Selbst Klimaaktivst*innen mit ihren Angriffen auf Bilder wie Van Goghs „Sonnenblumen“ oder Monets „Frühling“ geben sich als waschechte Ikonoklast*innen – wie Personen genannt werden, welche heilige Bilder zerstören. Wenngleich hier weniger die Gestalt oder Aussage der Kunstwerke die Zerstörungswut entfacht, sondern mediale Aufmerksamkeit und politischer Druck im Fokus liegen. Bilderzerstörung hat immer auch mit Ideologie und gesellschaftlichem Wandel zu tun. Das wird umso klarer, wenn man sich zwei der jüngsten Fälle von Kunst-Vandalismus anschaut.

crowning von Esther Strauß (2024) Foto: Ulrich Kehrer
Da wäre einmal ein schauriger Vorfall, der sich vor knapp einem Monat in der Ausstellung „DonnaStage“ im Linzer Dom in Österreich ereignete. Die sich am Frauenbild der christlichen Kunst abarbeitende Show zeigte eine hölzerne Marienskulptur der Künstlerin Esther Strauß. „crowning“ – so der Titel – zeigt die Mutter Jesus‘ auf dem Rücken liegend, mit gespreizten Beinen und einem roten Kleid bis über den stark gewölbten Bauch gezogen. Es ist zwar noch kein Neugeborenes zu sehen, aber der Fantasie braucht es nicht viel, um zu erraten, dass Maria in den Wehen liegt. In Anbetracht einer langen Geschichte eher enthaltsamer Mariendarstellungen ist es fast schon revolutionär, dass Maria hier alleine, ohne Josef und beiwohnenden Stalltieren, halb nackt und beim Gebären dargestellt wird. Denn Strauß entgegnet mit dieser Skulptur einer Lücke in der biblischen Erzählung, welche die eigentliche, tatsächliche Geburt des Christuskindes auslässt.
crowning von Esther Strauß (2024) Foto: Ulrich Kehrer
Fast forward zum Morgen des ersten Juli 2024: Nach einer Vielzahl an entrüsteten Beschwerden aus der konservativ-christlichen Ecke, findet man die Arbeit von Strauß mit abgesägtem Kopf im Ausstellungsraum. Ein Bekennerschreiben folgt: Der selbsternannte „Held von Linz“ eröffnet in der Telegramgruppe „Katholischer Widerstand“, dass er der heiß geliebten und hoch geachteten Muttergottes den Kopf absägte. Seine Begründung: Blasphemie. Strauß hätte mit der Art der Darstellung Marias Ansehen in den Dreck gezogen.
Knapp acht Tage nach der Enthauptung der Marienskulptur, ereignete sich im US-amerikanischen Bundesstaat Texas ein erschreckend ähnliches Ereignis. Am 07. 07. 2024 wütete Hurricane Berryl an der Golfküste Mexikos und der USA und traf die größte Stadt des Lone Star States, Houston. Der dortigen Universität hatte die Künstlerin Shahzia Sikander ihre Skulptur „Witness“ ausgeliehen, nachdem sie einige Zeit im Madison Square Park im Rahmen der Ausstellung „Havah… to breathe, air, life“, zu besichtigen war. Ähnlich der Linzer Maria fand man auch diese am Morgen nach dem Sturm demoliert und enthauptet.
Hinweise auf die Täter*innenschaft verrät uns die Thematik von Sikanders Arbeit: Die goldene Frauenfigur, deren Haare in spiralförmigen Widderhörnern enden und deren Beine sich knapp über dem Boden in feingliedrige Tentakeln verwandeln, ist ein Bekenntnis zur Solidarität mit denjenigen, welche sich dem Kampf der Gleichstellung von weiblich gelesenen Personen verschreiben. Der mit buntem Mosaik bespickte Rock steht hier symbolisch für die historischen Buntglaskuppeln in US-amerikanischen Gerichtssälen, unter denen bedeutende Entscheidungen für die rechtliche Gleichberechtigung getroffen wurden. Gleichzeitig verweist er aber auch auf die berühmt-berüchtigte Glasdecke, eine metaphorische Bezeichnung für die unsichtbaren Barrieren, mit denen sich marginalisierte Gruppen konfrontiert sehen. Unmittelbar nachdem Roe v. Wade vom Supreme Court gekippt und somit Abtreibung in vielen konservativen Red-States unmöglich gemacht wurde, ist eine solche Arbeit doch ein starkes Bekenntnis gegen reaktionäre Umstürze, die die USA schon seit längerem plagen. Von Gender-Verboten bis zu einem rassistischen Wahlsystem erzählt einiges, was dort geschieht von dem fortschreitenden Rechtsruck und einem Erstarken konservativ-christlicher Mächte. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass in den Tagen vor der Zerstörung von Sikanders Arbeit die non-profit Organisation „Texas Right to Life“ zusammenkam, um die angeblich „satanische“ Skulptur der Künstlerin anzuprangern. Im Gegensatz zu dem Vorfall in Linz fehlt zwar ein Bekennerschreiben gibt, doch liegt es nah, dass sich angestachelte Extremisten im Recht sahen, in einer Nacht-Nebel-und-Wirbelsturm-Aktion eine angeblich von Gott legitimierte Enthauptung vorzunehmen. Eine Annahme, die die örtlichen Behörden übrigens teilen.

Witness von Shahzia Sikander, Teil der Ausstellung „ParkforHavah…to breathe, air, life“, Madison Square (2023)
Fotos: Yasunori Matsui
Vor ein paar Tagen scrollte ich auf Instagram und blieb auf einem Video einer Rede von Donald Trump hängen. Dieser hatte Ende Juli während eines Gipfeltreffens der konservativ-christlichen Organisation „Turning Point Action“ eine Ansprache gehalten, in der er neben der Wiederaufflammung christlicher Werte unter seiner Regierung auch versprach, dass seine christlichen Wähler*innen sich mit Beginn seiner Präsidentschaft nie wieder um Wahlen kümmern müssten. Die implizite Anspielung auf eine tendenziell diktatorische Regierung könnte kaum expliziter sein. Gestützt wird die angebliche Heilsbringung von der Selbstinszenierung als Märtyrer, mit der er sich seit dem gescheiterten Attentat auf ihn schmückt und die mit Fotografien des Anschlags sowie den darauffolgenden Solidaritätsbekundungen mittels Ohrverband ausgeschlachtet wird. Doch die USA ist hinsichtlich des Rechtsrucks kein Einzelfall. Wir haben Giorgia Meloni in Italien, die sich im Sinne ihrer Partei Fratelli d‘Italia für ein traditionelles Frauenbild ausspricht, die AFD in Deutschland, welche ebenfalls konservative Geschlechter– und Familienbilder propagiert, Anti-Abtreibungsgesetze und Queerfeindlichkeit in Polen, Anstiege von Femiziden überall auf der Welt. Die Liste ginge noch weiter.
Und wenn das als Beweis der Salonfähigkeit rechtskonservativen Gedankenguts nicht reicht, braucht man nur einmal Instagram zu öffnen. Vielleicht ist es nur mein Algorithmus, aber mir werden häufiger Reels und Posts von Stay-at-home-Moms zugespielt, die im Stil der puritanischen Siedlungskolonialist*innen gekleidet sind. Und auch christliche Influencer erscheinen immer häufiger auf meinem Bildschirm. Mit einschlägigen Tiktok-Songs wird hier Jesus besungen oder sich aus Achtung für den eigenen Ehemann für eine anständige Rocklänge ausgesprochen.
Diese gesellschaftlichen Veränderungen sind keine Randerscheinung mehr. Wie im Fall der zerstörten Kunstwerke entwickeln sie sich zur akuten Bedrohung für weiblich gelesene Personen. In Verbindung mit den jüngsten Wahlergebnissen in Deutschland und den bevorstehenden Wahlen in den USA sorgt das bei mir für den einen oder anderen Rückenschauer. In diesen Momenten sehe ich die Skulpturen von Linz und Houston wie den eigenen Körper und ihre Zerstörung als einen tatsächlichen Angriff auf meine Entscheidungsmacht. Kampflos aufgeben will ich aber auch nicht, denn in all der Misere bleibt mir die Hoffnung, dass es Menschen wie Strauß und Sikander gibt, die sich diesen Ansichten entgegensetzen und sich für ein solidarisches Zusammensein einsetzen.