Kunstmessen gibt es in allen erdenklichen Größen, Preisklassen, Ausformungen – überall auf der Welt. Mal werden sie totgesagt, dann verzeichnen sie doch wieder Besucher*innenrekorde. Sie alle versuchen eine Plattform für Galerien zu bilden und sind für die Besuchenden oft so überflutend, dass es unmöglich ist, alles zu sehen – und wenn man nichts kaufen will oder kann, lohnen sie sich aus kunstinteressierter Perspektive aufgrunde des fehlenden Kontexts oft sowieso nicht. Wir gehen trotzdem hin. Dieses Wochenende hat sich unsere Redaktion auf der Mailänder Miart umgesehen. Und das sind unsere crispen Critic’s Picks für euch:
Ser Serpas bei LC Queisser
So jung und so begehrt: Die 1995 in Kalifornien geborene Ser Serpas bekommt häufig das Label eines rising Shooting-Stars aufgeklebt. Steht man bei ihrer georgischen Galerie LL Queisser aus Tiflis am Stand der Miart in der sogenannten „emergent“ Sektion der Messe, versteht man auch wieso. Serpas, deren Werk auch Installation und Skulptur umfasst, ist eine fantastische Malerin. Ihre unbetitelte, ohne Rahmen direkt an die Wand genagelte Leinwand sticht deutlich aus der Messemasse hervor: Der zwischen Pastosität und Transparenz mäandernde Farbauftrag und das grob gestrichene kreatürliche Motiv lösen gleichermaßen unheimliche wie mitfühlende Emotionen bei den Betrachtenden aus – zumindest bei uns in der Crisp Redaktion.

Ser Serpas, Untitled, 2024, Oil on canvas, 154 × 205 cm, Courtesy of the artist and LC Queisser
Jonas Rosmeißl bei Klemms
In der sogenannten „PORTAL“-Sektion der Messe, kuratiert von Alessio Antoniolli, hat der 1995 geborene Jonas Roßmeißl eine immersive Wohnzimmer-Dystopie geschaffen. Diese „trifft auf ein Bedürfnis, die gesellschaftlichen Vorgänge unserer Zeit und die Systeme, in denen wir leben, ergebnisoffen zu analysieren und kritisch zu betrachten“, wie es im Galerie-Text so schön heißt. Uns überzeugt das Konzept, insbesondere sein Gewaltvideo, in dem er Szenen von Straßen- und Polizeigewalt aus Youtube-Videos durch KI analysiert und in abstrakte Strichmännchen überführt hat, die eine merkwürdige Choreografie zwischen Computerspiel und Albtraum aufführen. Politisch, konzeptionell, menschlich und klug. Man wird sicherlich noch viel von Rosmeißl hören. Übrigens hat dieser noch bis 5. Mai 2025 eine Einzelausstellung im Kunstverein Oldenburg.

Jonas Roßmeißl, Gewaltvideo, 2023, 5:52 min, installation & presentation variable, ed. 3/5 + 2 a.p, Klemm‘s
Saskia Colwell bei Victoria Miro
Nein, es ist kein Foto, sondern eine Zeichnung und ja, das ist beeindruckend. Beeindruckend ist auch, dass sie nicht auf Papier oder Leinwand, sondern auf Tierhaut gezeichnet ist. Von welchem Tier wusste niemand bei Victoria Miro, nur, dass sie von alleine sterben müssen. Ein älterer Brite, „der das noch kann“, bereitet die Häute dann für Colwell vor und spannt sie auf Holz. Die Venen auf ihren Bildern sind also die des Tiers – es sollen Rehe, Kühe und auch Füchse darunter sein – und kein Teil des gezeichneten Körpers, der übrigens stets Colwells eigener ist. Der weibliche Blick auf den weiblichen Körper, ein bisschen Surrealismus, ein bisschen sexy und viel alte Technik – die Mischung aus der Wiederholung beliebter Sujets der letzten Jahre und handwerklicher Präzision macht die Arbeiten gleichzeitig leicht gimmicky, poetisch und ein bisschen langweilig. Aber sie enthalten eben auch viel Können und viel Emotion. Das trifft den Manufactum-Zeitgeist und führt zu langen Wartelisten für Colwells Werke bei der Galerie und vermutlich dazu, dass wir die Arbeiten der 1999 geborenen Künstlerin bald öfter sehen werden.

Leider hat die Galerie uns bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung keine Werkdetails zukommen lassen. Foto: Hilka Dirks
Isa Genzken bei Buchholz
Buchholz ist eine dieser Galerien, die Kunst verkauft, die so wichtig und so teuer ist, dass es einen – wenn man mal genau darüber nachdenkt – verwundern kann, dass Privatpersonen sie überhaupt kaufen dürfen und können. Die Weltempfänger von Isa Genzken gehören mit Sicherheit dazu. Auf der Miart wird auch noch ein besonders schöner gezeigt, mit ein bisschen was Gequetschtem und Bemalten auf dem Beton. Wir hörten, er koste 120.000 Euro. Irgendwie viel und wenig gleichzeitig für einen dieser Klassiker.

Leider hat die Galerie uns bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung keine Werkdetails zukommen lassen. Foto: Hilka Dirks
Eva Gold bei Rose Easton
Ist es eine Leuchte oder eine Skulptur oder eine leuchtende Skulptur? Ist es Bauhaus-Reminiszenz, Donald-Judd-Ode oder eine Kritik an Material und Konsum? Wir wissen es auch nicht, aber es gefällt uns sehr. Ein Messebesucher bezeichnete das Licht in jedem Fall als sinnlich-sexuell und ein bisschen Berghain. Das macht Sinn, arbeitet die Künstlerin doch auch sonst gerne mit Latex, Gummi, Leder, Seife und allen möglichen anderen, leicht kinky konnotierten Materialien. Für 6000€ kann man mit den Werken der Britin Eva Gold sein Schlafzimmer erleuchten, ein mittlerweile fast günstiger Einstiegspreis. Und so leuchtet die Arbeit Cash 4 Gold von Eva Gold schummrig rosé-golden bei Rose Easton am Stand – passender geht es ja wohl nicht.

Eva Gold, CASH 4 GOLD, 2025, Resin, fibreglass, perspex, aluminium, steel, LED, gel, 33.5 × 11.5 × 60.5 cm,
Courtesy the artist and Rose Easton, London, Photography by Jack Elliot Edwards