Ich muss sagen, der Flurfunk auf der Art Düsseldorf funktioniert, so mein Eindruck, gut: Von einigen Besucher*innen hörte ich, dass sie wiederum gehört haben, dass Sammler*innen die Art Basel im Juni auslassen würden, da es auf der Art Düsseldorf angenehmer sei und es dann ja auch erst einmal reichen würde mit Messen. Die Art Düsseldorf sei nicht so überlaufen, viel übersichtlicher, ja, gar familiär, erzählte man sich. Die Art Basel werde ich nicht auslassen, weil es schon fun ist, so kurz vor den Sommerferien noch einmal alle wiederzusehen. Aber die Grundidee leuchtet mir natürlich ein.
Kunstmessen haben oft etwas von einem Kunstsupermarkt. Statt Regalen gibt es Kojen, die alle so gleich aussehen wie Regale im Lebensmittelgeschäft. Auf der Art Düsseldorf gab es dieses Jahr wieder kuratierte Sektionen, die es den Galerien wiederum leichter gemacht haben, ihre Koje zu kuratieren: Die Themen waren unter anderem „Love is the Answer“ und „Liminal State“.
Esra Gülmen bei Judith Andreae
Die Booth der Galerie Judith Andreae (Bonn) von Esra Gülmen stand unter dem Thema „Love is the Answer“. Es war wohl die am meisten fotografierte und besuchte Einzelausstellung auf der Messe, dicht gefolgt von Alicja Kwade, präsentiert von gleich zwei Schwergewichten mit Pace und Mennour. Teilweise fühlte man sich aufgrund des großen Andrangs wie bei einer Blockbuster-Ausstellung in einem Museum. Man kann hier auch guten Gewissens das Wort Einzelausstellung in den Mund nehmen, denn der Stand war bis ins Detail durchkuratiert.
Esra Gülmen wurde 1986 in Istanbul geboren, lebt seit vielen Jahren in Berlin, ist aber auch regelmäßig zu Besuch in der Türkei. Das spiegelt sich in ihrer Kunst wider, in der sie beide Kulturen aufeinandertreffen lässt. Was auf den ersten Blick vielleicht etwas zu unbedarft nach einer Millennial-Instagram-Ästhetik (Pastellfarben, Minimalismus, Authentizität und inspirierende Zitate) aussieht, ist es nicht, erklärt aber die starke Anziehungskraft von Esra Gülmens Kunst. Sie zeigt Nippel, Küsse, Regenbogen und Gedichte, die in ihren Mosaiken analog verpixelt aussehen und dadurch wie zensiert wirken. Sie erinnert ihre Generation und die nachfolgenden an ihre Selbstbezogenheit; auf einem Grabstein steht die Frage WHAT WILL PEOPLE THINK? Und auf je einer Seite einer knallroten Wippe steht geschrieben: I’M SO IN LOVE. I NEED MY SPACE. Und auf der Rückseite des Standes hängen zwei kleine Gemälde nebeneinander: Schadenfreude (in pinken Buchstaben) trifft auf Weltschmerz (in schwarzen Buchstaben). Gülmen fängt spielerisch die Leichtigkeit und Schwere emotionaler Erfahrungen ein, die oft nur noch in Textform über Smartphones geteilt werden.

© Jonas Lund, Network Maintenance #2, PLA, custom hardware, software, 2025. Courtesy of the artist and Office Impart. Foto: Anika Meier
Jonas Lund bei Office Impart
Endlich ein paar Knöpfe drücken, mag man sich beim Anblick der Werke von Jonas Lund am Stand von Office Impart denken. Die Berliner Galerie ist auf digitale Kunst spezialisiert und präsentierte neben dem schwedischen Künstler Jonas Lund in Düsseldorf u. a. Constant Dullaart, Crosslucid und Jan Robert Leegte, also frühe Netzkunst, Post-Internet Art und AI.
Lund befasst sich seit über einem Jahrzehnt mit der Frage nach Werten, Marktmechanismen und der Funktionsweise von Netzwerken. Seine neue Serie Network Maintenance (2025) funktioniert wie ein Tamagotchi. Man muss sich ständig darum kümmern und Knöpfe drücken. Allerdings wird man damit nicht alleine gelassen bzw. man ist in ein Netzwerk eingebunden, d.h., das eigene Handeln hat Auswirkungen. Man könnte auch sagen, Jonas Lund erinnert an die Verstrickungen des Kunstmarktes: Wenn man einmal ein Werk eines Künstlers erworben hat, muss man sich als Sammler darum kümmern, damit es nicht seinen Wert verliert. Und man ist dabei auf die Mithilfe anderer Player auf dem Markt angewiesen.

© Bunny Rogers, Threes Ghosts, Fine Art Print on Hahnemühle PhotoRag Ultrasmooth 305g, 2020 und Marianna Simnett, Amphitrite, Bronze, velvet, 2024.
Courtesy of the artist and Société. Foto: Anika Meier
Bunny Rogers und Marianna Simnett bei Société
Am Stand von Société (Berlin) konnte man schnell merken, dass Zettel doch nicht ganz so verkehrt sind. Ich glaube, den Stand habe ich dreimal umrundet, bis ich endlich verstanden habe, dass man einen etwas versteckt angebrachten QR-Code scannen muss, um Informationen zu bekommen: Wer ist ausgestellt? Was ist ausgestellt?
Es war wohl die insgesamt eleganteste Präsentation auf der Art Düsseldorf, was sicherlich maßgeblich an den schwarzen Wänden und den Werken von Bunny Rogers und Marianna Simnett (eine silberne Krone, sanft auf einem Kissen auf einem Sockel platziert) gelegen hat – insgesamt waren 6 Künstler*innen Teil des Standes von Société. Auf Instagram habe ich, während ich an meinem Text geschrieben habe, gesehen, dass Three Ghosts (2020) von Bunny Rogers offenbar von der Kunstsammlung NRW erworben worden ist. Susanne Gaensheimer, die Direktorin der Institution, hat gepostet, dass sie sich über die Neuerwerbung freue, denn es sei ein wichtiger Schritt auf ihrem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Sammlung. (Monopol hat die Neuerwerbung mittlerweile bestätigt.) Bei dem Werk handelt es sich um ein Selbstporträt der Künstlerin in Form eines Avatars, inspiriert von der Jeanne d’Arc-Figur aus der MTV-Serie Clone High, erfährt man aus dem Text dazu. Es geht ihr um die Auseinandersetzung mit adoleszenter Angst, Gewalt und Verlangen.

© Bianca Kennedy, Angers, single-channel video installation, 2024. Courtesy of the artist and Galerie Krinzinger. Foto: Anika Meier
Angers (2024) von Bianca Kennedy bei Galerie Krinzinger
Ich gebe zu, bei diesem Werk bin ich etwas voreingenommen. Im positivsten Sinne, denn Angers von Bianca Kennedy war Teil der von mir co-kuratierten (mit Leah Schrager und Margaret Murphy) Ausstellung The Second-Guess: Body Anxiety in the Age of AI, die Anfang des Jahres online beim Haus der Elektronischen Künste Basel zu sehen war.
Die Ausstellung warf einen Blick zurück auf die Geschichte der Beziehung zwischen Mensch und Technologie und zeigte, wie sich der Kampf gegen Zensur in sozialen Netzwerken zu einem Kampf gegen Deepfakes im Zeitalter Künstlicher Intelligenz entwickelt hat. Seitdem das eigene Bild im Internet auffindbar ist, stellen sich Fragen der Einwilligung erneut mit Nachdruck. Aber auch der Kampf um Emotionen scheint mit der zweiten Amtsperiode von Trump einen neuen Höhepunkt erreicht zu haben. Bullshitten, Hass, Ablenkung und Aufregung sind Strategie. Jede Art von Reaktion darauf scheint recht zu sein, Hauptsache maximal emotional.
Bianca Kennedys Angers und der extreme Fokus auf weibliche Emotionen wirken da wie ein Befreiungsschlag. Female Rage wird oft immer noch kleingeredet oder als grundlos abgetan. Man muss nur an die Aussage von Taylor Swift denken: „A man is allowed to react. A woman can only overreact.“ Angers zeigt Ausschnitte aus Hollywood-Filmen. Man möchte am liebsten mitschreien.

© Simon Fujiwara, Once Upon a Who?, 2021, single-channel video installation, sofa, three stools, color, sound. Courtesy of the artist and Julia Stoschek Foundation. Foto: Anika Meier
Simon Fujiwara bei Julia Stoschek Foundation
Mehrmals bin ich am Stand der Julia Stoschek Foundation vorbeigelaufen, in der Hoffnung, auch einmal auf der Couch sitzend das Video Once Upon a Who? (2021) von Simon Fujiwara sehen zu können. Doch immer saßen dort eine braunhaarige Frau und ein blonder Mann. Vielleicht gehörten sie zur Installation? Ein kurzer Blick auf Instagram, nein, die beiden saßen offenbar einfach nur sehr lange dort. Im Video führt Fujiwara den Charakter Who the Baer ein, einen gezeichneten Bären, und reflektiert, wie Identität in einer von Bildern geprägten Gesellschaft geformt wird.