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Crisp: Was sind das für Menschen, die Restaurator*innen sind?

Felicitas Klein: Es sind tatsächlich große Idealisten, die das machen. Viel Geld macht kaum jemand damit, aber man kann davon leben. Unser Beruf hat sich im Laufe der Zeit stark verändert: vom künstlerischen Kunstmaler bis zum wissenschaftlich arbeitenden Restaurator oder Restauratorin, wie wir sie heute kennen. Ich sag jetzt immer Restaurator, aber ich meine natürlich auch uns Frauen. Zumal es hauptsächlich Frauen sind, die diesen Beruf ausüben.

Wie kommt es, dass es hauptsächlich Restauratorinnen gibt?

Ich kenne auch viele Männer, die den Beruf ausüben, aber in der Ausbildung sind es fast nur Frauen. Das hat, glaube ich, damit zu tun, dass dieses Bild des versunkenen, kleinteiligen Arbeitens noch immer mit Handarbeit, einer Frauendomäne, verbunden wird. 

Was hat dich dazu bewegt, Restauratorin zu werden?

Ich wollte in erster Linie nah an der Kunst sein. Ich habe es immer als großes Privileg gesehen, sehr viel Zeit mit den Kunstwerken zu verbringen. Auch wenn das hier (deutet auf ein Ölgemälde auf dem Tisch) überhaupt nicht meine Lieblingsbilder sind, je länger ich sie bei meiner Arbeit untersuche, desto mehr empfinde ich die Daseinsberechtigung der Kunstwerke. Ich setze mich mit dem Künstler auseinander, mit der Wahl seiner Materialien, mit seiner Zeitepoche, dem Entstehungs- und Lagerort. Es ist ein großer Wunsch von mir, unser kulturelles Erbe zu erhalten. Auch bei meiner Arbeit für wichtige Museen, dem Barberini oder dem Brücke-Museum, steht das im Vordergrund. Es sind oft jene Werke, mit denen wir uns alle unterbewusst stark identifizieren.

Hat dir die Attacke auf den Monet im Museum Barberini, den du ja betreust, weh getan?

Ja, absolut. Natürlich hätte es mir auch wehgetan, wenn das Bild aufgrund von Materialversagen von der Wand gefallen wäre. Aber mir hat es besonders weh getan, dass es diese jungen Menschen waren. 

Hast du mit den Aktivist*innen im Nachhinein gesprochen?

Sie waren gerade abgeführt worden, als ich ankam. Aber auf dem Weg dahin, als ich von der Bahn zum Museum gejoggt bin, habe ich im Kopf einen Dialog mit ihnen geführt. Ich wollte ihnen sagen, dass sie ohne Kunst ihrem Ziel nicht näherkommen werden. 

Claude Monet Meule
Eine von Claude Monets (1840-1926) Malereien aus der Serie „Les Meules“, wovon eine andere kürzlich mit Kartoffelbrei beschmiert wurde. Der Maler zählt zu den wichtigsten Künstlern des französischen Impressionismus. Bildquelle: (http://www.ibiblio.org/wm/paint/auth/monet/haystacks/matin.jpg)

Was macht Kunst aus deiner Perspektive so wichtig für unsere Gesellschaft?

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass Kunst einen starken Identifikationsfaktor hat. Dabei bin ich nicht weltfremd: Natürlich kommen viele Menschen niemals auf die Idee, in eine Ausstellung oder in ein Museum zu gehen. Meiner Meinung nach ist Kunst als Möglichkeit des Ausdrucks jedoch durch nichts zu ersetzen. Gerade in unserer technisierten Welt ist der künstlerische Ausdruck, der nicht zweckgebunden, sondern ausschließlich Ausdrucksform des Künstlers ist, ein hohes Gut.

Wenn man es aus einer politischen Richtung her denkt, könnte man sagen, dass es ja viele Künstler*innen gibt, die lediglich „l’art pour l’art“ ohne jeden gesellschaftlichen Anspruch betreiben. Das schwingt auch in der Debatte um die Attacken auf die Kunstwerke der Klimaaktivist*innen mit, die das ja bewusst inszenieren.

Da muss ich klar sagen, dass die Aktivisten zwei Dinge in einen Topf werfen: Sie kritisieren, dass viel Geld für Kunst ausgegeben wird, welches man besser für das Klima benutzen könnte. Damit machen sie ein „Entweder-Oder“ auf, obwohl sich das gar nicht trennen lässt. Du kannst das Klima nicht schützen und die Kunst untergehen lassen oder umgekehrt. In Hinblick auf die Medienwirksamkeit sind ihre Aktionen ein genialer Schachzug, aber inhaltlich hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Das bedauere ich sehr, weil ich davon ausgehe, dass diese jungen Leute eigentlich sehr klug sind. Aber man kann den Erhalt kulturellen Erbes nicht gegen den Klimaschutz ausspielen.

Klimaschützer*innen würden möglicherweise argumentieren, dass das Klima wichtiger sei als der Erhalt des Kulturerbes. Nach dem Motto: Wenn es in dreißig Jahren zu heiß wird, um ein normales Leben zu führen und wir uns in einem Katastrophenzustand befinden, dann ist es heute nicht so wichtig, alte Gemälde zu konservieren. 

Ich würde niemals sagen, dass das eine wichtiger als das andere sei. Beides ist dringend wichtig. Wir Menschen sind so komplex, dass wir auch die Kunst in unserer Gesellschaft brauchen. Unsere Gesellschaft verroht, wenn Kunst nicht mehr möglich sein kann. Ich möchte an dieser Stelle an die Höhlenmalereien der Höhle von Lascaux und anderen Höhlen auf der Welt erinnern. Die Höhlenbewohner haben mit den Malereien nicht etwa nur Szenen ihres Lebens dokumentiert, sondern ihre künstlerische Schaffenskraft ausgedrückt. Auch die Hochkulturen haben später abstrakt und künstlerisch gearbeitet. Das verbindet uns mit ihnen. Ich glaube, dass Kunst etwas ganz Verbindendes haben kann, auch in schwierigen Zeiten. Ich will nicht abtun, dass Kunst auch etwas Elitäres sein kann. Dies bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass Kunst nicht wichtig für uns ist. Sie ist eine Reflexion unseres menschlichen Daseins, die sonst nirgendwo geleistet wird. Das meiste, was wir erschaffen, ist zweckgerichtet und wird am Ende weggeworfen. Wenn man so will, befinden wir uns in einem dauerhaften Kreislauf von Produktion und Zerstörung. Dagegen ist Kunst als Ausdruck unseres menschlichen Wesens unverzichtbar. Es geht um mehr als nur das Klima zu retten. Es geht darum, uns als Gesellschaft zu retten. Das Klima ist so schlecht wegen uns, das ist nicht einfach so gekommen. Die Etats für die Kunst zur Klimarettung zu nutzen wäre keine Alternative.

Portrait der Restauratorin Felicitas Klein
                          Felicitas Klein

Die Kunst ist also eine der Sachen, die wir mit dem Klimaschutz retten wollen?

Für mich ist das auf jeden Fall so, ja.

Spürst du manchmal eine Verbindung zwischen dir und den Künstler:innen, mit deren Werken du arbeitest?

Ja, schon. Wenn sie noch leben, frage ich sie auch die eine oder andere Sache. Bei diesem Bild zum Beispiel (zeigt hinter sich auf ein modernes Gemälde) hat mir der Künstler erzählt, wie seine Bilder Schicht für Schicht entstehen. Bei verstorbenen Künstlern ist das etwas anderes. Ich stelle mir vor, wie sie vor der weißen Leinwand standen und in kürzester Zeit mit ein paar Pinselstrichen ein Werk erschaffen haben. Ich spüre dann ihre Freiheit. 

Wie fühlt es sich an, wenn du ein Werk in einer Ausstellung hängen siehst, das du restauriert hast?

Die Bilder sind teilweise 6 bis 12 Monate bei mir im Atelier. Wenn ich sie dann hängen sehe, ist es wie ein Wiedersehen mit einem alten Bekannten. Wie, wenn man Schulfreunde wieder sieht und genau weiß, was Sache ist (lacht).

Hättest du mehr Empathie für die Aktion gehabt, wenn sie sich ein Kunstwerk in einer dieser stark kritisierten privaten Lagerhallen der steuerfreien Flughafenzonen (sog. Freeports) ausgesucht hätten?

Es wäre mir egal gewesen. Ich fühle mich zu sehr als Anwältin der Kunst. Ich spreche für die Kunst, das sind meine Patienten oder Klienten. Es ist ein Skandal, dass es Menschen gibt, die wahnsinnig viel Geld haben und die Kunstwerke als Anlage sehen, die sie dann verschließen, um sie ein paar Jahre später als Anlage teurer zu verkaufen. Wenn der Kunstmarkt so in die Höhe gegangen ist, dass ein Monet für 110 Millionen verkauft worden ist, dann läuft natürlich etwas schief. In unserem gesamten profitgierigen kapitalistischen System läuft etwas schief. Aber das hat ja nichts per se mit dem Kunstwerk zu tun. Deswegen hat es keinen Sinn, die Kunst deswegen zu zerstören oder zu attackieren.

Könnte die Kunst deiner Meinung nach mehr gegen den Klimawandel unternehmen?

Aktuell ist die Kunst sehr politisch aufgeladen und versucht Gesellschaftskritik in jede Richtung, auch der Klimawandel wird thematisiert. Aktiv etwas gegen den Klimawandel tun kann die Kunst jedoch nicht. Es gibt unendlich viele Aktionen, bei denen Künstler Teile des Gewinns spenden… (zögert) Aber nein, viel mehr kann die Kunst nicht tun. Ich wünsche mir, dass die Aktivisten mehr gehört werden. Jetzt muss die Politik liefern.