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Seit ich die Malerei von Andi Fischer 2018 beim Absolvent:innen-Rundgang der UDK zum ersten Mal gesehen habe, denke ich viel an sie. In Fischers Bildern, Grafiken und geschnitzten Skulpturen, die in ihrer entschiedenen Strichführung und Reduziertheit an kindliche Arbeiten oder Holzspielzeug erinnern, kommt es zu allerlei Gegenüberstellungen: Immer wieder begegnen sich Mensch und Tier, mal zur Jagd oder zum Kampf. 

Mit Ölkreide malt und zeichnet Andi Fischer auf großformatige Leinwände. Die pastöse Farbe wird mit Oil Sticks, vergleichbar mit großen Wachsmalstiften, direkt auf die Leinwand aufgetragen und trocknet schnell. Der Vorteil und zugleich die Schwierigkeit dieser Technik liegen darin, dass sie eine schnelle Arbeitsweise und klare Linien erlaubt, die Korrektur aber fast unmöglich macht. Was da ist, das bleibt.      

In für Fischer typischen Konstellationen aus Tigern und Löwen, Raben, Adlern und Schlangen, Rittern oder Königen werden vage, oft abgründig-komische Geschichten angedeutet. Oft beziehen sie sich auf ikonische Werke der Kunstgeschichte wie beispielsweise Peter Paul Rubens gefesselten Prometheus (1612) in AAA LEBER SCHMERZT (2019). Was von Rubens Gemälde in Fischers Übertragung übrig bleibt, ist die Anordnung: ein diagonal liegender Prometheus (ohne Fels), ein angedeuteter blauer Umhang und ein Raben-ähnlicher Adler, der in der Leberwunde pickt. Was Fischer nicht überträgt, ist die Dynamik des angespannten Körpers oder die Dramatik des Angriffs. Bei ihm erhält die Erzählung der mythischen Geschehnisse auch keine landschaftliche Rahmung oder räumliche Tiefe. Stattdessen sehen wir vor dem weißen Grund der Leinwand nur die nötigsten Bestandteile, um Prometheus und den Adler gerade noch zu erkennen.

In der präzisen wie humorvollen Übersetzung Fischers emanzipieren sich die Figuren und Motive von ihren althergebrachten Vorlagen. So findet sich auch ein Krokodil aus Rubens Wimmelbild Jagd auf Krokodil und Nilpferd (um 1615) bei Fischer in einem neuen Kontext wieder: Isoliert in dörflichen Nachbarschaften vor archetypisch weißen Häusern mit roten Dreiecksdächern und blauen Fenstern. Die Titel der Bilder greifen das auf, was zu sehen ist. Sie heißen zum Beispiel KROK HAUS BESETZT (2021) oder KROKODIL HAUS LEER SONNE (2020). 

Die maurischen, berittenen Jäger haben die exotischen Tiere schon gestellt unter Mithilfe von Jagdhunden. Es ist ein Augenblick höchster Erregung, in dem es auch ein menschliches Opfer gibt.

Peter Paul Rubens Jagd auf Nilpferd und Krokodil von 1616 vs. Andi Fischers SUN RIDE KROK ZÜ von 2023?
Foto Andi Fischer: Tino Kukulies, Düsseldorf

Fischers Bilder deuten Erzählungen an, die, obwohl oder vielleicht gerade weil sie nicht auserzählt werden, Spannung erzeugen. Die Bilder zeigen entgegen des zunächst kindlich-naiven Eindrucks und des vermeintlich harmlosen Titels große Konfliktsituationen. Diese zeichnen sich oft dadurch aus, dass sich zwei mögliche Interpretationen einer Situation gegenüberstehen: Sehen wir das Haus des Krokodils oder lauert es davor auf Beute? Sind die Menschen im Dorf vor dem Krokodil geflohen oder gibt es sie in der scheinbar idyllischen Szenerie schon gar nicht mehr? Unabhängig davon, wie die Antwort ausfallen mag, stehen zwei mögliche Narrative im (Bild-)Raum.

In Andi Fischers Werken überlagern sich nicht nur mehrere Deutungsebenen, sie kommentieren sich auch selbst. Auffallend viele von Fischers Bildern tragen den Begriff des Problems im Titel: ES SCHEINT EIN PROBLEM VORZULIEGEN (2020 und 2022), auf dem ein Tiger von vier Krokodilen umzingelt wird, oder ENORME PROBLEME FOLGEN, auf dem Eva im Paradies den Apfel vom Baum der Erkenntnis pflückt. 

ENORME PROBLEME FOLGEN von Andi Fischer (2002), Foto: Simon Vogel, Köln

Aber was meint Fischer eigentlich damit, dass ein Problem vorliegt? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, welche für Fischers Bilder zentral scheint, hilft ein kurzer Blick in die Geschichte des Wortes “Problems”. Es leitet sich vom griechischen Verb proballein ab, das soviel bedeutet wie „vorwärts werfen, hinwerfen oder entgegenstellen“. Ein Problem ist also wortwörtlich etwas, das sich uns „entgegenstellt“. In diesem Sinne könnte man behaupten, dass alle Kunstwerke, die wir zu verstehen versuchen (egal ob es sich um ein Bild, Gedicht oder eine Performance handelt), eine Art Problem in sich tragen. Warum ist das so? Aus dem schlichten Grund, dass sie da sind und wir uns mit ihnen beschäftigen. In dem Moment, wo wir uns auf ein Kunstwerk einlassen, konfrontiert es uns mit sich selbst, jedoch ohne sich zu erklären.

Diese Deutungslücke wird durch die Imagination der*des Betrachter*in gefüllt, wodurch ein neues Bild oder vielmehr eine neue Vorstellung erschaffen wird, welche der Mensch nicht mehr loswerden kann. So folgt auf ein Problem, das uns ein Kunstwerk vorlegt, immer ein neues Bild. Andi Fischer thematisiert zugleich eben diesen Prozess. 

Es ließe sich auch sagen, dass Fischers Szenerien ihr eigenes Medium performieren: Nicht weil Fischer Erzählungen malt, sondern weil seine Bilder und deren figurative Abstraktionen das Medium der Malerei selbst konfrontieren. Durch sie werden die Grenzen zur Zeichnung produktiv wie spielerisch hinterfragt, während Fischer Held*innen der Kunstgeschichte mit großem erzählerischen Potential als Strichmännchen auftreten lässt.

Ausstellungsansichten von 2022 in der Galerie Sies + Höke, Düsseldorf, Foto: Simon Vogel, Köln

AHA NARR 6 (2022), ENORME WEISHEIT ALS ADLER + LOBSTR (2022) und ARGE LANDSCHAFTLICHE DARBIETUNG II + I (2023) von Andi Fischer
Fotos: Simon Vogel, Köln und CHROMA