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Wie Unkraut sammeln zur kollektiven Performance wird – Ein Rundgang mit Jasmine Parsley

Die Künstlerin hat im September diesen Jahres mit Hannah Blumas über Installationen, von denen am Ende nie etwas übrig bleibt, Goldnesseln, die nach künstlicher Wassermelone schmecken, und über das Sammeln als feministische Tradition gesprochen. Lesedauer: 4 min

Möglicherweise hast du schon einmal wilden Rucola oder Löwenzahn gekostet. Aber weißt du, wie Portulak, Gundermann, Sauerklee, Goldnessel, Malve oder Nachtkerze schmecken? Das sind nur einige der essbaren Pflanzen, die Jasmine Parsley in ihren kollektiven künstlerischen Aktionen sammelt, zubereitet und verspeist. 

Eines dieser Happenings war der Rundgang Make a Salad – a Re-Interpretation, mit dem die gebürtige US-Amerikanerin gemeinsam mit Mel Matzanke am Moabiter Kunstfestival Ortstermin teilnahm. In einer Gruppe streiften sie für zwei Stunden durch das Hansaviertel und ernteten das, was viele sonst voreilig als Unkraut abtun würden. Die bunte Ausbeute wurde anschließend gewaschen, feierlich angerichtet und gemeinsam verzehrt. Solche Forage and Feast Veranstaltungen hat die Wahlberlinerin diesen Sommer bereits am Haus am Waldsee, im Museum für Naturkunde oder an der Floating University durchgeführt. 

Ein Gespräch im spätsommerlichen September über die Schnittstellen zwischen Architektur, Urbanismus, Kulinarik und Kunst.

Die Wahlberlinerin Jasmine Parsley, fotografiert von Maria Dorada

Hannah Blumas: Jasmine Parsley ist dein Künstler*innenname. Wie hast du diesen gewählt?

Jasmine Parsley: Jasmin und Petersilie sind die beiden Pflanzen, die ich ungern esse, obwohl ich gerne Gefallen an ihnen finden würde. Ich habe dies einst einem Freund erzählt, als ich mich noch nicht so intensiv mit verschiedenen Substanzen auseinandergesetzt hatte – und dieser Name ist bis heute geblieben. (lacht)

Hannah Blumas: Du studierst Architektur im Master an der Universität der Künste Berlin. Wie verändert der Akt des Sammelns die Stadtraumerschließung und die Art und Weise, wie wir uns im öffentlichen Raum bewegen?

Jasmine Parsley: Für mich geht es darum, durch Handlungen und durch das Zusammenkommen temporäre Räume zu schaffen. Dies erlaubt uns, Räume neu zu lesen und zu verstehen.

Hannah Blumas: Viele Theoretiker*innen wie Donna Haraway, Bruno Latour und Anna Tsing beschäftigen sich mit der Agency, also mit den Bestrebungen und Anliegen, von Naturakteur*innen. Welche Rolle spielen die Pflanzen in der Redefinition von Raum?

Jasmine Parsley:
Pflanzen werden selten als Wesen mit eigener Agency wahrgenommen, welche aktiv Raum kreieren. Dabei nutzen sie Bakterien und Stickstoffe, um ein komplexes rhizomatisches Netzwerk zu bilden, das Nährstoffe aus tiefen Bodenschichten an die Oberfläche transportiert. Dieser Prozess der systematischen Selbstregeneration fasziniert mich.

Hannah Blumas: Die Regenerierung und Entschleunigung von Prozessen kann als Kritik an unserem System verstanden werden. Wo siehst du die Überschneidung zwischen Kunst und sozialer Aktion?

Jasmine Parsley: Ich finde Inspiration im Ansatz der Relationalen Ästhetik*. Für mich entsteht Kunst durch das bereits erwähnte Zusammensein. Neben meiner persönlichen Recherche habe ich viel Geld für Workshops ausgegeben, um mir mein Wissen anzueignen. Inzwischen habe ich viele Freund*innen gefunden, die ähnliche Interessen teilen, mit denen ich mich austausche. Mein Ziel ist es, dieses Wissen zugänglich und inklusiv zu teilen.

Hannah Blumas: Sammeln hat eine feministische Tradition. Dennoch ist die Rolle der Sammler*in oft von heteronormativen und patriarchalen Narrativen geprägt. Wie können diese Narrative aufgebrochen werden

Jasmine Parsley: Ich beschäftige mich nicht explizit mit Geschlechterrollen. Allerdings verfolge ich eine feministische Praxis, indem ich versuche, reproduktive Arbeit gemeinschaftlich zu teilen. Auch die Externalisierung der Küche und die Verlagerung des Kochens aus dem privaten in den öffentlichen Raum sind Teil eines kollektiv-feministischen Ansatzes.

Hannah Blumas: Euer Event Make a Salad – a Re-Interpretation setzt sich mit der gleichnamigen Performance der US-amerikanischen Künstlerin Alison Knowles Make a Salad aus dem Jahre 1962 auseinander. Warum hast du dich dafür entschieden, diese Arbeit aufzugreifen

Jasmine Parsley: Knowles Arbeit drehte sich hauptsächlich um den Klang des Salatschneidens, den sie wie eine Art Musikstück komponierte. Sie war Teil der Fluxus-Kunstbewegung der 1960er Jahre, die die Grenzen zwischen verschiedenen Disziplinen aufbrach. Das interessiert mich besonders, da ich in meiner Praxis architektonische, urbane, kulinarische und künstlerische Aspekte miteinander verbinde. Knowles verwendete in ihrer Performance Tomaten, Gurken und Salat. Wir hingegen haben die Zutaten unserer unmittelbaren Umgebung entnommen und alle Teilnehmer*innen einbezogen. Während bei Alison höchstens sechs Personen mitmachten, waren bei uns alle Teil der Performance.

Hannah Blumas: Bestandteil der Arbeit war neben dem Waschen der gefundenen Pflanzen auch die Eindeckung des Tisches. Am Ende war die weiße Tischdecke mit Blättern, farbigen Blüten, Stielen, eingelegten Früchten und selbst gebackenem Brot übersät, und es entstand ein kuratiertes, ästhetisches Gesamtbild…

Jasmine Parsley: Genau. Die Ästhetik entwickelt sich durch das gemeinsame Zubereiten, wobei alle aufgeregt und voller Vorfreude sind. Ich glaube, wenn ich das Essen alleine zubereiten würde, würde es nicht so schön aussehen. (lacht) Obwohl es manchmal schwer für mich ist, die Kontrolle abzugeben, freue ich mich umso mehr über die Kreativität der Teilnehmer*innen.

Hannah Blumas: Anschließend folgte die gemeinsame Mahlzeit. Laut der französischen Philosophin Corine Pelluchon haben wir in der Esskultur unserer industrialisierten Welt Geschmack und Genuss verloren. Wir haben vergessen, dass die Welt Nahrung ist, weil wir uns vom Fühlen abgeschnitten haben und uns die Objekte der Welt vorstellen, indem wir sie handhaben, sie objektivieren, schreibt sie in ihrem Buch Wovon wir leben. Inwiefern versuchst du mit deiner Praxis, unsere Entfremdung von der Welt der Nahrung zu überwinden?

Jasmine Parsley: Ich finde Nahrung und Essen als Medien faszinierend, da jede*r eine Meinung dazu hat. Dennoch machen wir uns oft nicht viele Gedanken darüber, was wir tatsächlich zu uns nehmen. Durch das Sammeln und Verzehren von Pflanzen im städtischen Raum können neue Geschmacksrichtungen entdeckt werden. Wir fanden zum Beispiel Goldnesseln, die nach künstlicher Wassermelone schmeckten. Außerdem stießen wir auf Bitterstoffe, die in Produkten und Supermärkten gemieden werden. Wir alle wurden der bitteren Geschmacksnote entwöhnt, obwohl er so vielseitig und gesund ist.

Hannah Blumas: Deine Kunstwerke sind ephemer, werden einfach aufgegessen. Welche Rolle spielt die Dokumentation in deiner Arbeit? 

Jasmine Parsley: Von der Installation oder der Performance bleibt nie etwas übrig. Und das ist auch gut so! Alles soll gegessen werden, sonst wäre es schade. Der Dokumentationsprozess ist für mich eine Herausforderung, da er den Geschmack, den Geruch und die Haptik nicht erfassen kann. Ich experimentiere noch und denke, dass das Videoformat ein geeignetes Medium sein könnte.

Hannah Blumas: Jasmine Parsley – am Anfang hast du erzählt, dass dein Name aus zwei Pflanzen besteht, die du nicht gerne isst. Kannst du zum Schluss noch deine Lieblingspflanze verraten?

Jasmine Parsley: Das ändert sich ständig. Ich habe die Nelkenwurz neu für mich entdeckt, obwohl sie überall in Berlin wächst. Die Wurzel hat nicht den intensiven Geschmack von Nelken, ist aber sehr interessant. Gestern habe ich damit Kuchen, Eis und Getränke zubereitet. Probier das mal aus!


*Relationale Ästhetik ist ein Begriff, der in den 1990er-Jahren von dem französischen Kurator Nicolas Bourriaud geprägt wurde, um Kunst zu beschreiben, die auf menschlichen Beziehungen und ihrem sozialen Kontext basiert. Es handelt sich dabei meist um eine partizipative Kunstform, in der Zuschauer*innen zu Teilnehmer*innen werden. Der Fokus liegt daher weniger auf dem fertiggestellten Kunstobjekt als auf den Konzepten und Werkprozessen.

Alle Fotos in diesem Artikel sind von Maria Dorada.
Der Text ist im September 2023 entstanden.

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