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Katharsis, Baby! Fünf Kunstwerke von Peter Friedl

ato-Gründerin Hannah Klein schreibt an dieser Stelle monatlich über Ausstellungen – anhand von fünf Dingen, die ihr vor Ort aufgefallen sind.

Im April war ich in der Ausstellung „Report 1964 – 2022“ im KW Institute for Contemporary Art des österreichischen Konzeptkünstlers Peter Friedl. Eine hochgelobte Ausstellung, die  ihr Versprechen (tatsächlich!) gehalten hat.
Die Auseinandersetzung mit Peter Friedls Arbeit führte mich an ganz persönliche Untiefen. So sah ich mich bei vielen seiner Kunstwerken immer wieder mit der Frage konfrontiert: Wie dokumentiert man eigentlich sein Leben? Und wie beeinflusst der Blick auf die Vergangenheit die Gegenwart? 
Ich habe 5 Details rausgesucht, die mich berührt haben und damit auf sehr persönliche Weise die Ausstellung „Report 1964 – 2022“ dokumentiert. Ohne Chronologie und Anspruch auf Vollständigkeit, aber mit dafür umso mehr Emotionen. Katharsis Baby!

1. Have a cup of tea at 8115

Let me tell you something: Auf dem Bild ist ein Modell von Nelson Mandelas ehemaligem Haus in Soweto zu sehen! Es ist Teil der Arbeit „Rehousing“, die aus 12 Modellen von historischen Häusern auf der ganzen Welt besteht. Was im ersten Moment wie der große Bruder einer Märklin-Modelleisenbahn-Landschaft daherkommt, warf als Gesamtkunstwerk sofort die Frage bei mir auf: welche Bedeutung haben Modelle für die Erinnerungskultur? Was lässt sich durch sie erhalten? Und würde ich, so wie Friedl, das Haus meiner Eltern modellieren und der Welt zugänglich machen?

Eine Arbeit aus Peter Friedls Ausstellung
Eine Arbeit aus Peter Friedls Ausstellung

2. Hallo du Ficker

Ok, bei manchen Werken musste ich doch Schmunzeln. Die Arbeit „Index on Censorship I-V“ zeigt mehrere vergrößerte Zeichnungen und Fanpost von zwei jungen Mädchen aus Peter Friedls Nachbarschaft.  
Auch wenn das Kunstwerk um einiges vielschichtiger ist als „Kinderzeichnungen mit Schimpfwörtern“, habe ich in erster Linie die Maltaktik für Stinkefinger inspiziert und mir fest vorgenommen sie zu kopieren.

3. Romantisierung des Groupies

Wer schon mal auf dem Friedhof Père-Lachaise in Paris war, ist wahrscheinlich auch andem Jim Morrisons Grab vorbeigekommen. Früher feierten Fans dort exzessive Partys. Seit einigen Jahren ist es aber nun abgesperrt und man kann es nur noch mit Abstand betrachten.
Die Arbeit „Theory of Justice“ ist eine Sammlung von bildlichen Zeitungsausschnitten der Jahre 1921 bis 2001, die Friedl chronologisch in Vitrinen anordnet. Die Bilder sind unkommentiert und spiegeln weltweiten Protest wider. Das Foto der Teenager, die lässig an Jim Morrisons Grab lehnen ist eines von vielen. Von dem Gedanken aufgewühlt, dass wir nur durch Menschen der Vergangenheit, politisch heute da stehen können wo wir sind, bin ich an diesem Bild hängen geblieben. Ich wollte sofort so ein Cool Kid der 90er-Jahre sein, das für ein politisches Anliegen Exzesse feiert und sich als Teil einer Befreiungsbewegung sieht.

Eine Fotografie aus Peter Friedls Ausstellung
Eine Arbeit aus Peter Friedls Ausstellung

4. Vergangenheit trifft sich

In der Arbeit „The Dramatist (Black Hamlet, Crazy Henry, Giulia, Toussaint)“ von Peter Friedl treffen vier Persönlichkeiten der Vergangenheit aufeinander, die zu unterschiedlichsten Orten und Zeiten gelebt haben. Tatsächlich hätten sie sich so nie begegnen können.
Man steht davor und betrachtet die theatrale Inszenierung. Es stellt sich die Frage, was wäre denn passiert, wenn Black Hamlet (John Chavafambira, traditioneller Heiler und Wahrsager), Crazy Henry (Henry Ford, Automobilmagnat), Giulia (Giulia Schacht, Frau des Begründers der Kommunistischen Partei Antonio Gramsci) und Toussaint Louverture (Anführer der Haitianischen Revolution) aufeinandergetroffen wären? Hätte es einen Einfluss auf die Geschichtsschreibung gehabt? Ist die weltweite Geschichtsschreibung einfach nur ein einziges Schicksal?

5. Tagebuch, das niemand sieht

Zu guter Letzt meine Lieblingsarbeit von Peter Friedls Oeuvre: „The Diaries“. Seit 1981 schreibt Friedl täglich in sein Tagebuch. Zumindest behauptet er das, denn sobald ein neues Buch voll ist, legt er es in eine abgeschlossene Vitrine. Die Bücher können von außen betrachtet, aber nicht geöffnet werden. Bis heute kommen neue Bücher dazu.
Seit jeher beschäftigt mich die Frage, ob man sich nicht mehr Zeit dazu nehmen sollte seine Tage zu dokumentieren. Ob schriftlich oder auch mit Fotos und Videos. Auf der anderen Seite, wen interessiert es? Indem Peter Friedl (angeblichen) jeden Tag ein paar Zeilen niederschreibt und es aber niemandem zugänglich macht, spielt er nicht nur mit „den Geheimnissen in einem Tagebuch“, sondern führt auch den Wunsch etwas für die Nachwelt festzuhalten ad absurdum. 

Eine Arbeit aus Peter Friedls Ausstellung

Mein Fazit

Das eigentlich Spannende ist, was das Betrachten von Kunst in einem auslösen kann. Ist die emotionale Begegnung mit Kunstwerken nicht auch eine Katharsis, eine Art Reinigung der Seele? Das ist natürlich nicht immer so, sondern nur, wenn einen die Kunst persönlich berührt. Und von Herzen wünsche ich uns allen mehr von diesen Momenten!

Mehr Infos über aktuelle und kommende Ausstellungen finden sich auf der Homepage der KW Institute for Contemporary Art.