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Ein Mann mit Mütze und Hut schaut in die Kamera.

Paulus von der Kunstakademie: Meint er das ernst?

Mit Videos von unscheinbaren Ecken im Stadtbild sammelte ein Düsseldorfer Kunststudent über 60.000 Follower*innen. Ist das Kitsch oder Kunst? Lesedauer: 5 Minuten

In den letzten Wochen und Monaten habe ich Menschen sehr häufig die Frage gestellt: „Kennst du Paulus von der Kunstakademie Düsseldorf?“. In den meisten Fällen wurde diese Frage affirmativ beantwortet, was wahrscheinlich daran liegt, dass ich mich in erster Linie in Kreisen bewege, die sowohl vage artsy sind, als auch viel bis sehr viel Zeit im Internet verbringen. Den wenigen Leuten in meiner Bekanntschaft, die nicht in ständiger Versuchung leben, stundenlang Reels anzuschauen und bis zum völligen Kollaps ihrer mentalen Fähigkeit nach oben zu swipen, habe ich sogleich eines von Paulus Goerdens Videos gezeigt.

Die meisten dieser Videos beginnen mit dem Satz „Hallo, ich bin Paulus von der Kunstakademie Düsseldorf“ und zeigen Paulus, Model und Kunststudent in Düsseldorf, der in die Frontkamera seines Handys spricht. Er befindet sich draußen, irgendwo auf der Straße, selten auch in seinem Atelier. Und dann will Paulus uns etwas zeigen. Eine „Alltagsinstallation“, wie er sie nennt. Kunsthistoriker*innen würden vielleicht sagen, ein Objet trouvé. In seinen Kurzvideos erklärt er zum Beispiel zwei Paletten, die an einem Müllcontainer lehnen, zu einer „quadratischen Grundfläche“. Der Haufen bunter Müll, der neben dem Container liegt, wird in Paulus’ Fantasie zu Bildmotiven, die man in Gedanken auf der Grundfläche anordnen kann. So eignet sich Paulus scheinbar unattraktive Ecken Düsseldorfs an, indem er sie im Vorbeilaufen zu Kunst erklärt. Ist das nur Kitsch oder kann uns Goerdens Blick etwas beibringen?

Nun ist der Alltag etwas, dem man häufig nachsagt, er sei dröge, ein Einheitsbrei, von dem wir regelmäßig eine Auszeit brauchen. Der Alltag, das ist das Unerhebliche; entscheidend sind die besonderen Momente. Hochzeiten, Geburts- und Todestage. Diese Unerheblichkeit des Alltags fällt uns vielleicht am meisten auf, wenn wir versuchen, uns an genauere Details eines stinknormalen Tages der vorherigen Woche zu erinnern. Welches T-Shirt hatte ich letzten Dienstag an? Was habe ich zu Abend gegessen? Solche Gedanken führen uns vor Augen, wie wenig Aufmerksamkeit wir dem scheinbar Nebensächlichen im Alltag zugestehen. Wie sehr wir weite Teile unseres Lebens zu verpassen scheinen. 

Eine verbreitete Bewältigungsstrategie gegen die Monotonie des Alltags ist die Achtsamkeit, dem vielleicht wichtigsten Denksatz unserer Gegenwart, welche sich langsam, aber sicher zum Religionsersatz in den sogenannten westlichen Gesellschaften entwickelt. Wenn man so will, sind Goerdens Alltagsinstallationen Musterbeispiele für die allgegenwärtige Achtsamkeitsdoktrin. Wie das Thema Achtsamkeit, wird auch Paulus Goerden kontrovers wahrgenommen.

Goerdens Videos besitzen ein erstaunlich hohes Irritationspotential, das merke ich bereits an meinen eigenen Emotionen beim Anschauen. Es drängt sich mir sofort der Verdacht auf, dass das, was Paulus als deep verkaufen will, eigentlich ziemlich seicht ist. Alles könnte irgendwie Kunst sein, das weiß auch ich als absolute Laiin, seitdem ich im Kunstunterricht in der 11. Klasse mit Marcel Duchamps Pissoir vertraut gemacht wurde. Dabei erhebt Goerden nicht zwingend den Anspruch, dass das, was er macht, deep sein soll. Es ist vielleicht eher eine gewisse Skepsis gegenüber der Vorstellung, dass sich überall in unserer alltäglichen Lebenswelt wirklich so viel Bedeutung, wie Goerden in seinen Videos nahelegt, wiederfindet. 

Es ist sicherlich auch die Frustration mit dem Bild des elitären Kunststudenten, der statt seiner Kunst vor allem sich selbst darstellt. Man könnte das ironisch verstehen, ein Teil des Witzes sein, indem die eigene Selbstdarstellung reflektiert wird. Genau das macht Paulus eben nicht: Er bricht nichts ironisch, sondern versichert, dass das alles ernst gemeint ist. Goerden hat kein Problem damit, in seinen Videos im Mittelpunkt zu stehen. Er vermittelt schließlich die Message seiner Kunst. 

Im Gegensatz zu Duchamps Pissoir legt Paulus allerdings keine Hand an die Gegenstände, seine einzige Intervention ist die Erklärung, die er liefert. Zumindest wenn man nur seinen Social-Media-Auftritt kennt. In der Galerie Alex Serra in Köln stellt er Fotografien aus, die er von den Alltagsmomenten seiner Videos macht. Das wissen die meisten seiner Follower:innen jedoch nicht, auf seinem Kanal findet es nur am Rande statt. Sind seine Videos also nur Vermarktung für seine Kunstwerke? In jedem Fall werden seine Videos aber von einem viel breiteren Publikum Beachtung erfahren als klassische Kunstmuseen. Mit anderen Worten: Viele Menschen, die Goerdens Videos sehen, tun das nicht, weil sie sich in diesem Moment nach Kunst sehnen. Viele von ihnen interessieren sich nicht einmal besonders für Kunst, was deutlich wird, sobald man die Kommentarspalte eines jeweiligen Reels öffnet. An den Reaktionen merkt man, wann die meisten Leute aufgehört haben, sich mit Kunst zu beschäftigen.

Die Kommentare unter den Alltagsinstallationen deuten daraufhin, dass es viele der Zuschauer*innen ein bisschen sauer macht, was sie da sehen, aber auch, dass sie irgendwie nicht aufhören können, sich genau das anzuschauen. Das liegt einerseits daran, dass Goerden sehr genau weiß, wie die Algorithmen funktionieren und er jeden Tag ein neues Video hochlädt, um konstant im Gespräch zu bleiben. Andererseits liegt es aber auch daran, dass diese Videos selbst bei denen, die sie peinlich finden, eine Art Lust am Cringe auslöst. Meint er das ernst? Ist das eine Performance? Was bildet der sich ein? Das sind Fragen, welche man sich vielleicht stellt, bevor man das nächste Reel anschaut und dann immer weiter scrollt. 

Dass Paulus von der Kunstakademie ein Phänomen ist, müssen selbst diejenigen einräumen, die seine Message für banal halten. Denn man muss mindestens anerkennen, dass in den Videos und den Diskussionen darum nicht zuletzt die Frage im Raum steht, welchen Platz wir Kunst in unserem Leben einräumen wollen und was Kunst für uns bedeutet, abseits von den tradierten Räumen.

Paulus Goerdens Alltagsinstallationen findet ihr auf seinem Instagram-Kanal: @paulusgoerden