Jonas Höschl ist Teil der Gruppe Tannhäuser Kreis. Klingt schaurig, soll auch so: Eine Zusammenschließung von Künstlerinnen und Künstlern, die bissig und kritisch mit deutscher Geschichte umgehen. Umso gespannter war ich auf sein neues Künstlerbuch. In der oberen rechten Ecke (haha, ihr wisst schon) des roten Kartoneinbands steht:
80 PORTRÄTS :
73 MÄNNER, 7 FRAUEN
JONAS HÖSCHL
ISBN 978-3-99153-103-6
Ganz nüchtern und ohne Umschweife. Ganz deutsch, würde man meinen. Da rutscht mir der gebundene Teil aus dem Einband. Sollte das nicht fest dran sein? An die Innenseite des Einbandes sind die Einleitung auf einem einfachen A4-Blatt und ein Foto getackert. Als wäre das ganze Ding noch ein Manuskript in the making und kein fertiges Buch. Oder als wäre mir gerade ein Stapel Geheimakten des Verfassungsschutzes aus der Mappe gefallen.
Der Inhalt ist im Titel gespoilert: Jede Seite nimmt ein Porträt ein. Das an den Einband getackerte Foto zeigt die Ausstellung Gentle Reminder in der Galerie Anton Janizewski, in der Jonas die Fotos ursprünglich an eine Wand projizierte. Alle schwarz-weiß in schwarzem Passepartout. Alles Hochformate, keine Seitenzahlen. Nur wer die 80 porträtierten Personen sind, verrät der Titel nicht.
Eine Ahnung darüber bekomme ich bei den Bildern selbst: Kurzhaarschnitte, Glatzen, Kleidungslogos mit Lorbeeren, Schwertern und Adlern drauf, Reichsfahnen. Die Bilder hat Jonas aus antifaschistischen Rechercheportalen, die rechtsextreme Netzwerke aufdecken. Manche Fotos sind aus sicherer Entfernung heraus entstanden. Auf anderen Fotos scheint der Porträtierte mit der Faust auf die Kamera auszuholen.
Schwarz-Weiß galt bis in die 70er Jahre als Kardinalregel der seriösen künstlerischen Fotografie. Nur das klare Schwarz-Weiß erlaube es, sich vom fotografierten Objekt zu distanzieren; es nicht mehr als darzustellenden Gegenstand, sondern als ästhetisches Konzept zu begreifen. Einer forensischen Dokumentation würde das hier widersprechen. Okay, die Arbeiten von Bernd und Hilla Becher wären im wahrsten Sinne des Wortes eine Grauzone. In Jonas’ Fall verschwinden in der Farblosigkeit Details. Reichsfahnen habe ich vorher erwähnt, aber woher weiß ich das so genau ohne Farbe? Jonas zeichnet die Suggestion in Umrisslinien aufs Blatt und ich male die Flächen selbst aus.
Nach dem „Schwarzweißdenken“ der zweite Knackpunkt: Die Gesichter verschwinden hinter einem weißen Nebel. Als wären sie wegradiert. Solange es Fotografie gibt, gibt es auch Retuschen und Bildmanipulation. Porträts bilden normalerweise eine Person ab. Ein Teil ist Inszenierung, ein Teil Eindruck. Was passiert also, wenn Jonas die Porträts unkenntlich macht? Das Porträt widerspricht sich selbst und wird unpersönlich. Dokumentation oder Ikonoklasmus, was ist es nun? Geradezu auratisch wird die Leere. Ein kleiner running gag der Kunstgeschichte ist, dass der Prophet Mose in der lateinischen Übersetzung des unvokalisierten hebräischen Wortes KRN Hörner (karan) abbekommen hat und entsprechend lange so dargestellt wurde – dabei heißt es, sein Gesicht habe geleuchtet (keren), als er mit den Gesetzestafeln vom Berg Sinai herabstieg. Hat Jonas hier aus Versehen den Leuten eine leuchtende Aura statt die verdienten Hörner verpasst? Oder befolgt Jonas nur gewissenhaft die DSGVO? Nicht ganz – im Hintergrund oder neben den Porträtierten sind die anderen Personen doch ganz klar erkennbar. Ein leeres Rauschen, vielleicht? Keiner zu Hause in der Birne? Das will ich nicht meinen, das wäre doch zu plakativ…
Ich frage mich, was es mit der Relation 73:7 auf sich hat. Vielleicht ist das auch die ungefähre Geschlechterproportion in der rechten Szene insgesamt. Da sehe ich eine Frau im Dirndl mit Namensschild, die den DB-Fahrplan nach Görlitz hochhält. Und hinter ihr verschwommen ein Banner mit „Arische“ in altdeutscher Schrift. Beim telefonierenden Herrn in Hemd und Krawatte hätte ich mir nichts gedacht (so viel zum Thema respectability politics). Bei dem genauso gekleideten jungen Mann mit Blumensträußen in der Hand ebensowenig. Und gerade das mag die demokratische Achillesferse sein: Die Neonazis von Heute sehen nicht unbedingt wie die Nazis von Damals aus. Und wenn sie es doch tun, heißt es weiterhin beobachten und abwarten. Vorsicht sei geboten… aber nicht vor Nazis, sondern vor voreiligen Schlüssen.
Kleidung, die heute mit Neofaschismus assoziiert wird, hat ihre Wurzeln in der Linken Szene: Punks in Glatze und Springerstiefel walked, so Neonazis could run. Wegen des „NS“ in „Lonsdale“ und dem Lorbeerzweig im Fred Perry-Logo sind diese Marken besonders präsent auf rechten Aufmärschen. Beide Brands distanzieren sich von Rechts, die Linke erobert sie zurück. Und auch sonst gibt es Code-Überschneidungen, die fast aufeinanderzeigenden Spiderman-Klonen gleichen.
So unmissverständlich klar der Titel des Buches ist, so unklar ist mir das Ergebnis. Eine forensische Analyse eines Täter*innenbildes ist es nicht, dafür ist es zu ästhetisiert. Nazis sehen heute anders aus als früher? Wissen wir. Die Porträts, die Jonas zeigt, sind der rechte Rand des Overton-Fensters. Klar kommt da der Aufschrei. Aber die große Gefahr ist längst nicht mehr der Rand, sondern die breite Masse, die gemäßigt den Faschismus in die Mitte trägt.