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Auf einem Tisch mit weißer Tischdecke sind Obstteller, eine Pralinenschachtel und eine Champagnerflasche neben gefüllten Gläsern zu sehen

Sagt uns doch einfach Hallo

Du hast mal wieder eine Vernissage in einer Galerie besucht und dich fehl am Platz gefühlt? Unsere Autorin Hannah kennt das nur zu gut – und hat sich überlegt, wie Galerist*innen mit nur drei Kniffen für eine deutlich bessere Atmosphäre bei Kunstausstellungen sorgen könnten. Lesedauer: 4 min

Ich werde nie den Moment vergessen, als ich einen guten Freund dazu einlud, mich zu einer Galerieeröffnung zu begleiten. Er hatte wenig Bezug zur Berliner Kunstszene und sagte eigentlich nur mir zuliebe zu. Ganz wohl war uns damit beiden nicht, aber mir war es wichtig, dort gewesen zu sein. 

Der Ausstellungsraum war grell erleuchtet, zu sehen gab es einzelne Silikon-Finger, die aus der Wand herausragten. Dazu waren an manchen Stellen Nischen in die Wände eingelassen, in denen aus Plastik nachgeformte Alltagsgegenstände wie Apfelsinen, eine Zigarette und eine Vase lagen. Über den Objekten baumelten Hodensäcke. Wie sich herausstellte, waren es Hodensäcke von echten Menschen, die durch ein Loch in der Decke geführt wurden – und dann dort hingen. Ja, echte, menschliche Hoden! Es gab sogar ein Casting, wo die Hoden nach Form und Größe ausgewählt wurden.

Nirgendwo gab es Erklärungen zu den Arbeiten, die Galerist*innen waren dauerbeschäftigt und strahlten in keiner Weise aus, dass sie von Nichtkenner*innen ohne Geld angesprochen werden wollten. Wir standen verlegen vor den Hoden. Mein Freund fasste einen der Finger an der Wand vorsichtig an, ich schlug seine Hand weg. Wir trauten uns nicht in den Hinterraum, wo angeblich eine Kiste warmer Tannenzäpfle stehen sollte. Also gingen wir wieder vor die Tür und holten uns ein Bier beim Späti nebenan. Hier haben wir Bekannte getroffen, die etwas mehr zu den Arbeiten wussten. Sie klärten uns auf, dass es sich bei den Hoden anscheinend um eine ziemlich interessante Referenz auf ein Kunstwerk aus den 60er-Jahren handelte. 

Dann gingen wir nach Hause und verarbeiteten unser unwohles Gefühl, die Menschen in extravaganten Klamotten und die Frage, was passiert wäre, wenn wir auch den Hodensack angefasst hätten. An die Kunst dachten wir kaum.

Auch wenn dieses Erlebnis mir mittlerweile als lustige Geschichte dient und ich froh bin, es erlebt zu haben, frage ich mich, ob man das ganze Event nicht anders hätte aufziehen können – mit einem guten Gefühl und einer tatsächlichen Auseinandersetzung mit den Inhalten. Es kann doch nicht so schwer sein, eine Ausstellung so zu konzipieren, dass sich ein Großteil der Besucher*innen wohlfühlt und einen Zugang zu den Arbeiten findet. Wie könnte das gehen?

  • Ansprechbar sein

Wenn du zu Hause Besuch bekommst, bietest du deinen Gästen sicherlich auch Getränke an. Wieso nicht auch den Besucher*innen der Ausstellung? Damit zeigst du nicht nur Gastfreundschaft, sondern schaffst auch die Möglichkeit zum Austausch über die gezeigte Kunst. Eine weitere kleine Geste mit großem Effekt: Wie wäre es mit einem herzlichen „Hallo“ am Eingang? So fühlt sich jede*r gleich willkommen und die Ansprechperson ist damit auch klar.

Eine Frau öffnet mit einem Säbel eine Champagnerflasche
Klar, du kannst auch eine Performance mit Sektflasche und Säbel machen – ganz so aufwendig muss es aber nicht sein. (Credits: Lisa Risager, Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Deutschland [CC BY-SA 2.0 DE])
Saure Gurken und Sekt bilden natürlich ein Dream Team – du kannst jedoch auch auf salzige Snacks wie Chips oder Nüsse zurückgreifen. (Credits: Alison Willey, Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Deutschland [CC BY-SA 2.0 DE])
  • Der Raum muss einladen

Das ist ein heikler Tipp, denn Kunst wirkt in leeren Räumen und an weißen Wänden natürlich besonders hochwertig und wichtig. Sogenannte „White Cubes“ laden allerdings nicht zum Verweilen ein. Das ist schade, denn manchmal wächst die Kunst erst, wenn man sie länger betrachtet und – jetzt wird es verrückt – man sich setzen kann. Warum also nicht mal über ein neues Setting nachdenken: Kunst vor einer Backsteinwand oder Kunst vor einer farbigen Wand. Eine Sitzinsel, eine Pflanze, ein Bücherregal schaffen Gemütlichkeit. Solange die Beleuchtung stimmt und genug Raum für die Kunst übrig bleibt, ist es eine erfrischende Veränderung.

  • L’art pour l’art*, aber wie vermittelt man den Inhalt?

Die Freiheit der Kunst liegt darin, dass sie nicht nützlich sein muss. Sie darf zum Beispiel auch einfach schön sein. Organisiert man eine Ausstellung mit dem Anliegen, Inhalte zu vermitteln, sollte man sich vorher Gedanken machen, ob die Menschen diese auch nachvollziehen können. Wenn nicht durch die Kunst selbst, dann vielleicht durch ein kuratorisches Konzept oder ein Begleitprogramm? Um Diskussionen und Gedanken anzuregen, muss man den Besucher*innen etwas mitgeben, und manchmal reicht allein die Präsentation des Kunstwerks dafür nicht aus. Hier ist der Kreativität keine Grenze gesetzt, doch ein bewährtes Mittel sind Erklärungstexte. Dass es in diesen Texten nicht darum gehen sollte, durch Unmengen an Fremdwörtern noch mehr Unsicherheit zu schüren, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

Daher ein ganz einfacher Tipp: Schreibt Texte, die ihr selbst versteht!

Erst so kann die Kunst ihre volle Wirkung entfalten. Durch Veranstaltungen, auf denen sich der Großteil der Besucher*innen nicht willkommen fühlt, ist ihr sicherlich nicht geholfen. Sagt uns doch beim nächsten Besuch einfach mal „Hallo“ und bittet uns herein!

*Die Redewendung „l’art pour l’art“ (sinngemäß „die Kunst um der Kunst willen“) stammt aus dem 19. Jahrhundert und bezeichnet bis heute die Überzeugung, dass Kunst keinem äußeren Zweck, ob politisch, religiös oder ethisch, diene. Die Kunst diene ausschließlich sich selbst. Diese Auffassung war im 19. Jahrhundert fortschrittlich und wurde von neuen, modernen Kunstströmungen Anfang des 20. Jahrhundert praktiziert.

Credits Titelbild: Sticky Parkin, Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Deutschland (CC BY-SA 2.0 DE)