Crisp: Wie kam es zur Gründung von Synnika?
Jeronimo: Synnika wurde im Sommer 2019 als experimenteller Raum für Praxis und Theorie eröffnet. Die Stadt hatte das ehemalige Geschäftshaus, in dem wir uns befinden, zuvor für gemeinschaftliches Wohnen und öffentliche Erdgeschoss-Nutzungen ausgeschrieben. Der Zuschlag ging an die Projektgruppe Nika, die angetreten ist, das Haus im Modell des Mietshäusersyndikats dem Mietmarkt zu entziehen und zu renovieren. Synnika ist neben dem Förderverein Roma e.V. und dem Community Space ein Teil der öffentlichen Erdgeschossnutzung dieses Gebäudes.
Naomi: Insgesamt sind wir ein Kollektiv von sieben aktiven Personen, von denen nicht alle im Kunstbereich arbeiten, sondern aus unterschiedlichen Bereichen kommen: Design, Politikwissenschaft, Literaturwissenschaft, Soziologie und Kunst. Was uns in unserer Arbeit verbindet, ist, dass wir aus einem subkulturellen Kontext in Frankfurt kommen, über den wir teils mehr, teils weniger connected waren – vor allem aus der selbstorganisierten Veranstaltungsszene, die bis in die späten 2000er in Frankfurt noch populär war, mittlerweile jedoch leider fast gänzlich durch städtische Repressionen zerstört wurde. Das politische Klima hat sich so stark verändert, dass sowohl Besetzungen als auch Selbstorganisation in städtischen Gebäuden immer schwieriger werden.

Synnika-Mitglieder Naomi Rado, Martin Stiehl und Jeronimo Voss im Gespräch mit Jiawen Li, Wan Qing, Liangjian Hua
und weiteren Mitgliedern von 44 Monthly in Guangzhou, Foto: Junhua Fung.
Crisp: Hinsichtlich der Hintergründe finde ich es spannend, wie ihr das Programm und eure Ausstellungen aufzieht. Synnika ist keine klassische Galerie, in der es eine*n Kurator*in, eine Person am Empfang und eine für Social Media gibt.
Naomi: Das Thema „Kurator*in sein“ im Kunstbetrieb ist immer wahnsinnig idealistisch aufgeladen. Es wird angenommen, dass sie die ideen-gebende Instanz, das intellektuelle Genie hinter einer Ausstellung sein muss. Das sehe ich so ehrlich gesagt nicht. Ich denke, dass Künstler*innen in den meisten Fällen auch gut für sich selbst sprechen können. Natürlich setzt man als Kurator*in thematische Schwerpunkte und Kontexte, aber ich finde, die wichtigere Aufgabe von Kurator*innen ist es, Künstler*innen die bestmögliche Plattform und Unterstützung zu geben, um ihre Arbeiten an ein Publikum zu bringen und zu vermitteln.
Jeronimo: Vor kurzem waren wir in China, um das Kollektiv 44 Monthly zu treffen. Mit einigen der Beteiligten haben wir seit der Eröffnung von Synnika immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen zusammengearbeitet, woraus eine Beziehung zu dem Kollektiv gewachsen ist. Mit dem Förderverein Roma e.V. ist es ähnlich. Wir haben schon verschiedene Veranstaltungen zusammen organisiert. Einerseits wegen der räumlichen Nähe, aber auch weil es beim ersten Mal gut funktioniert hat. Der schönste Teil der Arbeit liegt in der Entwicklung solcher Kontinuitäten.
Crisp: Das heißt, es gibt bei Synnika einen starken Fokus darauf, im Kollektiv zu agieren?
Naomi: Genau. Im Kollektiv gibt es zum Beispiel bessere Möglichkeiten, Arbeit aufzuteilen, vor allem was die Programmgestaltung betrifft. Es ist nicht so, dass jede präsentierte Position gemeinschaftlich ausgesucht wird. Wir treffen uns regelmäßig, um Ideen zu sammeln, uns abzustimmen und dann zu überlegen, was eine geeignete Rahmung für bestimmte Positionen wäre. Wir planen meistens zwei bis drei größere Projekte im Jahr, für die wir uns um die finanzielle Förderung und Logistik kümmern. Dieser Teil, die Infrastruktur und reproduktive Arbeit, ist das, was hinter den Kulissen stattfindet. Ein selbstorganisierter Raum muss außerdem sauber gemacht werden: Wir putzen sowohl unser Klo als auch unsere Fenster selbst. Und das sind die Dinge, die häufig übersehen werden. Leute denken womöglich, „Oh wow, schöner Raum, in dem man Ausstellungen machen kann“, aber es wird vergessen, welche Arbeiten damit verknüpft sind. Die kuratorischen Projekte sind nur die Kirsche auf der Spitze. Das meiste ist Bürokratie, Organisation und Instandhaltung.
Ausstellungsansicht, Convergence des Temps, 44 Monthly mit Gong Yi, Wan Qing und Yifei Chen, 2024, Foto: Robert Schittko, courtesy of the artists.
Jeronimo: Es ist unser Anspruch, im Konsensverfahren zu arbeiten, ähnlich wie im NiKa in der Hausbewohnerversammlung. Abstimmungen über Mehrheitsentscheide gab es bisher keine. Wenn einer Person ein Thema besonders am Herzen liegt, kann das bearbeitet werden.
Naomi: Produktive und wertschätzende Diskussionen sind Teil unseres kollektiven Prozesses.
Crisp: Dieses Arbeitskonzept reflektiert im Gesamten euren Standort in einem Projekt des Mietshäusersyndikats, in dem das gemeinsame Wohnen durch gemeinschaftliche Aushandlung und Verwaltung funktioniert. Gibt es in dieser Beziehung eine gegenseitige Beeinflussung?
Jeronimo: Alle Erdgeschossräume arbeiten weitgehend autonom. Ganz am Anfang, vor der Eröffnung, wurde die Idee zu Synnika auf dem NiKa-Plenum vorgestellt und genehmigt. Damals haben wir ein Konzept entwickelt, das sich inhaltlich positioniert. Synnika setzt sich aus Syndikat und NiKa (Nidda-Karlstraße) zusammen und deutet damit auf die Zusammenkunft von unterschiedlichen Praktiken und Positionen hin. Insofern ist es kein Zufall, dass wir mit unserer Praxis in diesem Haus sind.
Crisp: Mir ist es bisher oft so vorgekommen, dass sich im Kunstbetrieb davor gescheut wird, politischen Aktivismus zu betreiben. Wie vereint ihr denn eure politischen Ansätze mit der Arbeit im Synnika? Besonders angesichts des Rechtsrucks innerhalb Deutschlands.
Naomi: Es ist wichtig anzumerken, dass unser Verständnis vom Engagement gegen Rechts sehr viel globaler oder transnationaler zu verstehen ist. Selbstverständlich gibt es Einzelprojekte, die sich gegen rechte Entwicklungen innerhalb Deutschlands richten. Gleichzeitig arbeiten wir aber auch viel mit internationalen Akteur*innen zusammen, die sich auf eine sehr andere Art und Weise auf regressive und faschistoide Politiken beziehen. Zum Beispiel haben wir letztes Jahr eine Gruppenausstellung zu LGBTQ+ Rights in Ghana gezeigt. Sie wurde von Va-Bene Elikem Fiatsi, einer Trans-Aktivistin und Künstlerin aus Kumasi in Ghana, gemeinsam mit der Künstlerin Vanessa Amoah Opoku kuratiert, mit der wir schon in mehreren Kooperationen zusammengearbeitet haben. Es ging dabei um Empowerment einer queeren Szene in einem Land, das momentan eine christlich-fundamentalistische Umwälzung erlebt, in dem queere Identitäten enorm unterdrückt und politisch verfolgt werden. Auch wenn das nicht die Verhältnisse in Deutschland betrifft, ist das eine Entwicklung, die stattfindet und adressiert werden muss. Die deutsche Rechte ist schließlich auf globaler Ebene nicht die einzige regressive politische Bewegung. Diese Prozesse finden im Zusammenspiel vieler sich gegenseitig verstärkender Kräfte statt. Wir lassen Akteur*innen gegen diesen Backlash selbst zu Wort kommen oder organisieren zu diesen Themen Veranstaltungen. Zugleich ist das Lokale ein großes Thema für uns. Das Bahnhofsviertel in Frankfurt ist ein stigmatisierter Ort, charakterisiert durch die Kriminalisierung von Drogenkonsum. Wir versuchen mit dem Klientel ins Gespräch zu gehen und das Narrativ im öffentlichen Diskurs differenzierter zu gestalten. Wir sind beispielsweise der offizielle Distributionsort der Straßenzeitung Arts of the Working Class, die kostenfrei bei uns abgeholt werden kann, um wohnungslosen Menschen dabei zu helfen, ihren eigenen Lebensunterhalt aufzubessern. Auch innerhalb des Viertels suchen wir immer wieder den Austausch. Zum Beispiel mit Privatunternehmen und Anwohner*innen, die fast alle mittlerweile einen Securitydienst engagiert haben, um die Menschen gewaltsam vor der Tür „wegkehren“ zu lassen. Wir verstehen uns im Gegensatz dazu als ein Safer Space für Menschen, die wohnungslos sind und die deswegen natürlich auch bei uns vor der Tür sitzen dürfen, was sie vielerorts im Bahnhofsviertel mit der zunehmenden Gentrifizierung und Verdrängung nicht mehr können. Dennoch hat unser Angebot Grenzen: Wir sind keine Sozialarbeiter*innen und auch keine Notunterkunft. Manches können wir schlicht nicht leisten und von den städtischen Angeboten für wohnungslose Menschen gibt es leider viel zu wenig.
Crisp: Da sprichst du auch noch einen weiteren wichtigen Punkt an. Es gibt einige Stadtforscher*innen, die einen Schulterschluss zwischen Orten der Kunst und der Wohnungskrise sehen. Positioniert ihr euch dazu? Als Beispiel könnte man das mittlerweile nicht mehr existierende Tacheles in Berlin nehmen, das im Zuge der Hausbesetzungen in den 1990ern zum alternativen Kulturzentrum wurde, bis es 2012 geschlossen wurde. Nun befindet sich dort das eher kommerzielle Fotografiska-Museum.
Jeronimo: Kunst hat diesen Ruf bekommen, verantwortlich für Gentrifizierung zu sein. Ich finde, das grenzt schon fast an eine Verschwörungstheorie. Die ökonomischen Prozesse hinter der sogenannten Gentrifizierung haben zunächst nichts mit Kunst zu tun. Aber trotzdem hat es sich sehr hartnäckig festgesetzt, dass Künstler*innen quasi wie die Vorhut der Gentrifizierung gesehen werden. Wenn Künstler*innen dieses Bild als Selbstkritik für sich übernehmen, führt das eher dazu, dass sie sich letztlich selbst in den eigenen Handlungsmöglichkeiten beschneiden. Es wäre im Gegenteil wichtiger, Praxen zu entwickeln, die versuchen, Raum anders zu nutzen.
‚ɔsa nti‘ Because of War – Healing and Resilience Back Home, Ausstellungsansicht. Kuratiert von Va-Bene Elikem Fiatsi und Vanessa Amoah Opoku mit Arbeiten von Adelaide Damoah, Kwasi Darko, Va-Bene Elikem Fiatsi, Enam Gbewonyo, Impact Queer Photography Workshop und Angel Maxine, Foto: Robert Schittko, courtesy of the artists.
Crisp: Welche Herausforderungen begegnen euch in eurer Arbeit? In Berlin gibt es jetzt beispielsweise enorme Kürzungen im Kulturbereich. Als gemeinnütziger Verein verdient ihr persönlich nicht am Projekt.
Naomi: Die Frage nach den Kapazitäten einzelner Mitglieder, der Eigenverantwortung gegenüber der Gruppe und individuell sind zentral für unsere Zusammenarbeit. Wie viel kann man leisten und wie viel möchte man leisten? Wir haben auch keine ideale, reibungslose Praxis. Vielmehr ist es ein aktiver Prozess, der eine fortwährende Gesprächsbereitschaft erfordert. Ausbeutung ist leider ein Schlagwort beim Thema Ehrenamt, das man kaum umgehen kann. Deshalb ist es umso wichtiger, dass man mit sich und der eigenen Gruppe achtsam umgeht.
Jeronimo: Kürzungen wie in Berlin gibt es in Frankfurt am Main noch nicht. Aber es gibt wie überall einen chronischen Mangel an zeitlichen und finanziellen Ressourcen.
Crisp: Welche Vorteile seht ihr in der Form des kollektiven Zusammenarbeitens?
Jeronimo: Wir zahlen uns zwar nur Aufwandsentschädigungen aus, aber wir machen zum Beispiel auch mal eine zweiwöchige Projektreise nach China. Das ist schon eine besondere Form von Kompensation für die vielen Plena und eher langweiligen Arbeiten wie Excel-Tabellen aktualisieren und Verwaltung. Die Reise wurde möglich durch unsere langjährige Beziehungsarbeit mit dem Umfeld des Contemporary Art Research Center HB Station in Guangzhou, die sich auch noch weitertragen wird. Sowas konnte ich vorher, ohne Synnika, in meiner individuellen Praxis nicht realisieren.
Naomi: Auch ein Thema, das während unserer Chinareise immer wieder aufkam: Warum überhaupt kollektiv arbeiten? Es sollten mehr Leute kollektiv arbeiten. Gleichzeitig sehe ich einen Trend innerhalb der Kunst: „Gemeinschaftliches Arbeiten“ ist gerade in Mode. Man sieht es an Konzepten wie lumbung bei der documenta15 in Kassel. Mich beschleicht da leider oft das Gefühl, dass kollektives Arbeiten als Mittel zum Zweck verstanden wird. In einer Gruppe zu arbeiten bringt nicht zwangsläufig eine kollektive Praxis mit sich. Da können sich auch total toxische Beziehungsmuster reproduzieren. Man muss sich schon auf geteilte Verantwortung, Austausch und die Beziehungsarbeit einlassen können. Mir geben besonders die inhaltlichen Diskussionen sehr viel – zum Beispiel die Gespräche mit den Künstler*innen in Guangzhou. Ich finde das wirklich beeindruckend, wie dort unter noch viel strafferen Reglementierungen eine so wahnsinnig gute künstlerische Praxis entstehen kann. Wir können davon viel lernen. Das gemeinsame Lernen in Bereichen der Kommunikation, aber auch des künstlerischen Ausdrucks, finde ich ungemein wichtig.
Synnika besteht aus den Mitgliedern Max D.P.D. Carvalho, Dominik Lux, Tetsuro Pecoraro, Naomi Rado, Melanie Schreiber, Martin Stiehl, Jeronimo Voss.