In Deutschland kann ein Kunststudium an 24 staatlichen Kunsthochschulen und Akademien absolviert werden. An der Kunsthochschule Berlin-Weißensee dauert das Diplomstudium fünf Jahre. Während dieser Zeit arbeiten die Student*innen intensiv an ihrer künstlerischen Praxis. Doch wie geht es den Künstler*innen damit, diese sichere Blase verlassen zu müssen? Vier internationale Absolventinnen der Kunsthochschule Berlin-Weißensee berichten davon, wie es ist, den Schritt nach draußen zu wagen. Trotz individueller Sorgen, Träume und Ziele haben die Künstlerinnen etwas gemeinsam: Sie sind aus verschiedenen Teilen der Welt nach Berlin gekommen, um Kunst zu studieren und jetzt davon zu leben.
CRISP: Shira, worum geht es in Deiner neuen Videoarbeit „Sparato in Mezzo“, die Du auf der Abschlussausstellung präsentierst?
Shira Orion: Ich zeige einen Film, inspiriert von einer Novelle von der jüdisch-italienischen Schriftstellerin Natalia Ginzburg. Es geht um eine Frau, die ihren Mann ermordet und warum sie das gemacht hat. Meine Arbeit erzählt von schiefgegangenen Versuchen der Emanzipation von Frauen. Häufig auch von mir (lacht).
Wie hat sich Deine Form Geschichten zu erzählen während des Studiums verändert?
Am Anfang musste ich ganz viel von dem, was ich erlebt habe, rauskotzen. Nachdem ich einmal alles in künstlerischer Form ausgekotzt hatte, war ich freier in meinen fiktionalen Erzählungen.
Fühlst Du Dich auch von dem Studium befreit?
Ich bin ehrlich gesagt ziemlich traurig, weil ich mich bisher nirgendwo so wohlgefühlt habe. Ich habe mir einen sicheren Raum zum Arbeiten geschaffen und Beziehungen aufgebaut, die ich mitnehmen möchte.
Was nimmst Du Dir sonst noch für die Zeit nach dem Studium vor? Und was könnte dabei herausfordernd sein?
Ich mache mir Sorgen, weil ich im Video Bereich arbeite. Videoarbeiten gelten als schwer verkaufbar, werden in Ausstellungen häufig als Störfaktor behandelt und Filmfestivals haben ihre ganz eigene Politik. Ich nehme mir fest vor und versuche, frei davon zu arbeiten.
Woran arbeitest Du aktuell?
Im nächsten Monat gehe ich mit meiner Punkband EGONX auf Tour, die ich während des Studiums gegründet habe. Außerdem bin ich auf der Suche nach einem neuen Atelier.
CRISP: Yunsun, welche Arbeit zeigst Du auf Deiner Abschlussausstellung?
Yunsun Kim: Ich zeige eine neue Installation über imaginärere Landschaft. Die hochglänzende schwarze Folie deutet auf die Hyperpräsenz von Bildschirmen hin. Die da draufstehenden Stative halten handwerkliche Objekte und werden zu hybriden Lebewesen. Im Zusammenspiel mit einer Soundcollage erhält das digitale Szenario etwas Dystopisches.
Wie geht es Dir damit, das Kunststudium abzuschließen und fühlst Du Dich auf den Kunstmarkt vorbereitet?
Ich fühle mich nicht so gut auf die Zeit nach der Uni vorbereitet. Das Kunststudium ist bereits mein zweites Studium. Davor habe ich Produktdesign an der National University of Science and Technology in Seoul studiert. Ich verdiene noch kein Geld mit meiner Kunst. Das geht nicht nur mir so, viele Absolvent*innen machen sich finanzielle Sorgen. Für meine Arbeiten brauche ich außerdem Maschinen und Werkzeuge, die ich mir außerhalb der Uni-Werkstätten nicht leisten kann. Aufgrund der fehlenden finanziellen Absicherung habe ich nicht vor, Kinder zu bekommen. Die Kunstszene verlangt viel ab. Eine Familie zu gründen, ist für mich daher undenkbar.
Das ist ein großes strukturelles Problem. Denkst Du, dass es noch mehr Unterstützung insbesondere für Künstlerinnen benötigt?
Ja, aber es gibt viele Begrenzungen bei der Bewerbung für Stipendien, beispielsweise eine deutsche Staatsbürgerschaft oder Altersvorgaben. Das finde ich unfair, da dies wenig mit den künstlerischen Arbeiten zu tun hat. Im Gegenteil: das Mehr an Zeit hat mir dabei geholfen, meine Auseinandersetzungen zu vertiefen.
Nach dem Studium kannst Du Dir die Zeit für Deine künstlerische Praxis neu einteilen. Worauf freust Du Dich auf die Zeit nach dem Abschluss?
Ich freue mich darauf, als professionelle Künstlerin und nicht als Kunststudentin wahrgenommen zu werden. Und ich blicke gespannt auf internationale Ausstellungen und Kollaborationen.
CRISP: Evelina, womit beschäftigst Du Dich in Deinen gezeigten Arbeiten?
Evelina Reiter: Thematisch beschäftigen sich meine Arbeiten mit Berlin, U-Bahnen, Going-out, dem Alleine-Sein als junge Frau, meinem Leben und meinen Struggles.
Was bedeutet Dir Dein Studium der Malerei?
Es ist ein Privileg, Kunst studieren zu können. Ich bin aus Russland für das Studium gekommen und würde mir wünschen, dass es für ausländische Student*innen einfacher wäre, Aufenthaltsgenehmigungen zu bekommen. Dann könnte ich mich noch mehr auf die Kunst konzentrieren, anstatt mich ständig unsicher zu fühlen. Die aktuelle politische Situation macht alles noch schwieriger. Aber ich denke, dass ich am richtigen Ort bin und fühle mich bereit, den Abschluss zu machen.
Wie hast Du es geschafft Dich „bereit“ zu fühlen?
Ich habe mich selbst unterrichtet und meinen Stil eigenständig entwickelt. Während Corona gab es keinerlei Unterstützung und ich musste mir ein eigenes Atelier suchen. Da ich diese schwierige Zeit überstanden habe, fühle ich mich für alles, was kommt gewappnet.
Und was kommt nach dem Abschluss?
Ich beantrage gerade ein Künstlerinnen-Visum. Meiner Familie in St. Petersburg möchte ich beweisen: Ich habe nicht nur Kunst studiert, sondern das ist auch meine Karriere.
CRISP: Ximena, wie würdest Du Deine künstlerische Praxis beschreiben?
Ximena Ferrer Pizarro: Ich bin vor neun Jahren aus Peru nach Berlin gekommen. Meine Verwirrungen und Identitätsfragen fand ich irgendwann nicht mehr traurig, sondern witzig und habe sie zum Thema meiner subtil politischen Arbeiten gemacht. In der Ausstellung zeige ich Malereien der letzten zwei Monate, wie immer auf großen Formaten.
Du sagst „wie immer“. Wie haben sich Deine Arbeiten während des Studiums entwickelt?
Ich wusste immer, dass ich Malerei machen möchte, aber am Anfang vom Studium hatte ich eine andere Vorstellung von Kunst. Meine Praxis war intuitiver und abstrakter. Ich hatte den Wunsch, selbstverständlicher Geschichten zu erzählen und habe mich viel mit präkolonialer Kunst aus Peru beschäftigt. Dort habe ich figurative, abstrahierte Elemente gefunden, die mir die Angst genommen haben, bestimmten Regeln zu folgen. Ich frage mich: Was möchte ich verlernen oder neu lernen? Bei der Beantwortung helfen mir Gespräche mit Freund*innen, Professor*innen und Therapie (lacht).
Die Auseinandersetzungen im Uni-Kontext waren also entscheidend. Gab es auch schwierige Situationen?
Ich bin sehr dankbar für die Zeit an der Kunsthochschule. Die Professor*innen wussten aber oft nicht, was sie mit mir machen sollten, da ich so viel von lateinamerikanischer Kunst gesprochen habe. Das Schöne daran war, dass beide Seiten voneinander lernen konnten.
Was hast Du noch während des Kunststudiums gelernt?
Früher gab es häufig Momente, an denen ich meine Entscheidungen in meinen Arbeiten hinterfragt habe. Heute betrachte ich meine Malereien und denke: Das ist fertig und die Entscheidungen, die ich getroffen habe, sind gut.
Wie fühlt es sich an, das Studium abzuschließen?
Während des Studiums wird uns suggeriert, dass alles klappen kann, solange wir uns Mühe geben. Jetzt bin ich gespannt, ob das ausreichen wird. Aber ich vertraue in meine Arbeit. Das schwierigste ist, die Hoffnung nicht zu verlieren und weiter zu malen. Denn: Ich möchte von meiner künstlerischen Praxis leben und fühle mich ready für die Welt.