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White Cube – Wege aus der vermeintlichen Kontextlosigkeit

Der White Cube erscheint heute als Standard für die Präsentation von Kunstwerken. Doch das muss gar nicht so sein! Wie können sich Künstler*innen, Kurator*innen und Institutionen dem angeblich kontextlosen Raum widersetzen? Ein Blick auf die Hassliebe zwischen dem White Cube und der zeitgenössischen Kunst mit drei Alternativen zur weißen Wand.

„Was hast Du heute im Museum gesehen?“ – „Vor allem weiße Wände“, müsste die ehrliche Antwort lauten. Der White Cube, also Kunst, die vor weißen Wänden hängt, scheint heute so selbstverständlich, als hätte es nie eine andere Präsentationsform gegeben. Die weiße Wand im Kunstkontext verbreitete sich jedoch erst im frühen zwanzigsten Jahrhundert als Antwort auf die zunehmende Abstraktion der modernen Kunst.

In den im 19. Jahrhundert populären Epochen-Zimmern wurden Skulpturen, Gemälde und Artefakte vor lebhaft tapezierten Wänden präsentiert, die mit rotem Samt bespannt und goldenen Ornamenten verziert waren. Bis in die 20er-Jahre galt es als ästhetisch, Kunstwerke vor einem möglichst kontrastreichen Hintergrund zu inszenieren. Zeitgleich fanden sich bei den Impressionist*innen erste Ansätze einer reduzierten Ausstellungsgestaltung. In ihren Ateliers hängten sie ihre Bilder in systematischen Anordnungen vor schlichte Hintergründe.

Für das Bauhaus erfüllte sich in der weißen Farbe das Ideal eines architektonischen Pragmatismus und der angestrebten demokratischen Vereinheitlichung von Wohnraum. Auch die Nationalsozialisten propagierten weiße Wände in ihrer Kunstpolitik. Sie deuteten Weiß als Farbe der „Reinheit“. Das New Yorker Museum of Modern Art schloss sich ebenfalls dem neuen Stil an. Ende der Dreißigerjahre setzte sich die einreihige Hängung auf weißer Wand schließlich endgültig in den Ländern des globalen Nordens durch [1].

Der White Cube als postmoderner Kirchen-Ersatz

Heute ist ein Besuch im Museum oder in einer Galerie häufig von einer sakralen Atmosphäre geprägt: Nichts darf berührt werden, lieber nicht zu laut sprechen und erst recht nicht lachen. Der White Cube hat die Kathedralen und Kirchen ersetzt, die weiße Farbe ihren goldenen Anstrich. Die Kunstwerke sind zwar nicht heilig im religiösen Sinne, werden aber durch ihre Inszenierung überhöht und dadurch unzugänglich. Mit der Diskussion um den White Cube ist auch die Frage der Zugänglichkeit von Kunst verbunden. Der irische Künstler und Kritiker Brian O’Doherty schrieb bereits 1976 in seinem Essay Inside the White Cube: Der Kubus suggeriere vermeintliche Neutralität und Transparenz und schließe die Außenwelt aus. Die Kritik lässt sich fast fünfzig Jahre später erneuern: Durch ihre gestalterische Abgrenzung vom Rest der Stadt schaffen die weißen Zellen eine weitere Barriere, sich mit Kunst auseinanderzusetzen.
Zugleich tragen wir heutzutage unseren persönlichen White Cube täglich mit uns herum. Der kanadische Künstler und Schriftsteller Parker Kay erklärt in seiner Publikation A Cube Has Six Sides, The White Cube as Medium (2016), dass der Katalysator für die Ästhetik des White Cubes das Internet und die bildschirmbasierten Medien sind. Die Architektur des White Cubes ist immateriell, vergleichbar mit den digitalen Räumen auf unseren Smartphones. Beide fungieren als Träger von flexiblen Inhalten, dessen Kontexte in den Hintergrund gerückt werden. Der White Cube ist zum Medium geworden und die Kunst in der Post-Internet-Welt wird für den White Cube konstruiert. Sie verlässt sich auf die Fähigkeiten des White Cubes, alles in seinem Inneren zu sakralisieren. Der künstlich erschaffene weiße Raum scheint Legitimation genug, seine Inhalte als Kunst zu deklarieren.

Es gibt jedoch viele verschiedene Strategien, wie eine Ausstellung die Unantastbarkeit des White Cubes durchbrechen und sich seiner Sakralisierung widersetzen kann. Drei aktuelle Beispiele belegen dies:

Lokalisierung und Zugänglichkeit

Super Super Markt, 7. Himmel official, Berlin, März 2022

Eine Kunstinstallation in einem Supermarkt
Nick Ash, Super Super Markt, Künstlerinnen Kim Stolz und Sophie Reinhold

Kunst beim Späti um die Ecke zwischen Batterien, Kondomen und Äpfeln. Diesem Gedanken folgend initiierte der 2021 gegründete Online-Kunstverein Super Super Markt eine Gruppenausstellung im Berliner Spätkauf 7. Himmel official. Die Arbeiten zeigten die Auseinandersetzung von sechs Künstler*innen mit Konsum-Vergnügen, während sie von diesem umgeben sind. Wir erwarten in dieser alltäglichen Umgebung keine Konfrontation mit Kunst und genau das zeichnet das Konzept aus: Genauso unvoreingenommen wie Du eine Tüte Chips kaufen gehst, könntest Du Dich in mit künstlerischen Positionen beschäftigen – sogar während Du Chips isst.

Zersetzung und Sichtbarkeit

Maria Eichhorn, Relocating a structure, 2022, Deutscher Pavillon, 59. Biennale Venedig, bis November 2022

Besucherinnen betrachten eine Arbeit von Maria Eichhorn
Hannah Blumas, Künstlerin Maria Eichhorn

Maria Eichhorn hinterfragt den Ausstellungsraum und dessen Kontext, politisiert und seziert ihn. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit der Geschichte des Deutschen Pavillons, den sie ursprünglich translozieren und wieder aufbauen wollte. Stattdessen entblößt sie durch das Abtragen von Putz und dem Ausgraben von Fundamenten das ursprüngliche Gebäude. Dieses wurde 1909 als bayerischer Pavillon erbaut und 1938 von den Nazis erweitert. Durch den Abbau des White Cubes werden die Spuren der Nationalsozialisten sichtbar, obwohl für die Besucher*innen erst mal wenig zu sehen ist. Eine ausführliche Publikation und ergänzende Stadtführungen zu Orten des Widerstands „relocaten“ den Wirkungsraum der Arbeit, verlagern ihn auf den Stadtraum Venedigs und hin zu generellen Fragen der Verantwortung von Räumen der Kunst.

Fluidität und Kollektive

Insola, Berlin, ongoing

Insola Berlin White Cube
Insola, Lukas Freudenberg, Künstlerin Anastasia Egonyan

Insola ist ein selbst konstruierter, frei bewegbarer Kunstraum in der Berliner Rummelsburger Bucht. Ein blauer, architektonisch flexibler Rahmen, der an die jeweiligen Projekte angepasst wird. Gegründet von einem Kollektiv, steht die Nutzung vom Non-Profit Space Künstler*innen frei zur Verfügung. Der White Cube richtet sich nach innen aus und grenzt sich nach außen ab. Der blaue Cube hingegen spielt mit den fluiden Grenzen der 12 m2 Insel auf den Weiten des Wassers, mitten im Stadtraum.

Die Veränderung von zeitgenössischen Kunsträumen fängt nicht nur bei den künstlerischen Positionen, Akteur*innen und Institutionen an, sondern auch bei den räumlichen Strukturen, in denen sich diese bewegen. Strategien des Widerstands und amorphe Ausstellungsformen zeigen, dass wir uns von der Vorstellung des Museums und der Galerie als weißen Tempel passiver Kunstbetrachtung immer weiter lösen können und sollten.

[1] Disclaimer: Der Dominanz des White Cube liegt ein vorwiegend unidirektionales, eurozentrisches Verständnis von Kunstgeschichte zugrunde.

Birkett, W. B. (2012) To Infinity and Beyond: A Critique of the Aesthetic White Cube. 

Brüderlin, M. (2013) Die Aura des White Cube. Der sakrale Raum und seine Spuren im modernen Ausstellungsraum. Zeitschrift für Kunstgeschichte, Band 76, S. 91-106., Deutscher Kunstverlag GmbH München Berlin. 

Filipovic, E. (2014) The Global White Cube. ONCURATING, issue 22. 

Huxtable, S. (2014) White Walls, White Nights, White Girls: Whiteness and the British Artistic Interior, 1850–1900.

Kay, P. (2016) A CUBE HAS SIX SIDES. The White Cube as Medium. The Canadian Academy in Rome, Swimmers Group. 

Klemm, H. (2003) Triumph der weissen Wand. Frankfurter Allgemeine Zeitung. 

Maak, N.; Klonk, C.; Demand, T. (2011) White Cube and beyond. Tate. 

McEvilley, T. (1986) Introduction. O’Doherty, B. (1976) Inside the WhiteCube, The Ideology of the Gallery Space. S. 7-12. The Lapis Press. New York.

Titelbild: Unsplash/Dannie Jing