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Ein älterer Mann zeigt auf ein Medienkunstwerk an der Wand

Pro Bono Kunst

Wolf Richter ist Jurist und arbeitet seit seiner Pension als Anwalt für Künstler*innen. Warum ihm der Beruf in dieser Domäne so viel Freude bereitet und welche Schlüsselerlebnisse er selbst beim Kunstkauf hatte, erzählt er in einem Gespräch mit Crisp-Autorin Emma-Lilo Keller.

Ich besuche Wolf Richter in seinem Haus in Dahlem, wo wir uns in seinem Wohnzimmer, umgeben von Werken jeglicher Kunstgattungen, unterhalten.

Crisp: Wolf, du bist seit jeher ein leidenschaftlicher Jurist – gleichzeitig kenne ich keine Privatperson, die so viele Kunstwerke sammelt. Angesichts deiner offensichtlichen Passion für Kunst drängt sich die Frage auf, weshalb du dich für eine Karriere im öffentlichen Dienst entschieden hast.

Wolf Richter: Wenn du es genau wissen willst: Zu Beginn fand ich das Jura-Studium fürchterlich. Aber mich interessierte das Verwaltungsrecht, denn das hat mit politischer Gestaltung der Gesellschaft zu tun. Ich wurde also Verwaltungsrichter in Karlsruhe und in Berlin, später Präsidialrichter am Verwaltungsgerichtshof in Mannheim. Dort entdeckte ich, dass es einen Etat des Kultusministeriums für Kunstanschaffungen in Behörden gab, etwa 30.000 Mark. Und so begann ich, mit dem Geld im Dienstgebäude des Verwaltungsgerichtshof Kunstwerke aufhängen zu lassen und Skulpturen zu platzieren.

Wolf Richter, der Behörden-Kurator!

Die meisten Kolleg*innen hat das überhaupt nicht interessiert. Es gab aber auch andere, die sich mokiert haben – „immer diese Richterschen Farben“, „kann der nicht mal etwas anderes“. Ich hatte dort völlig freie Hand! Das Gebäude selbst war hässlich wie die Nacht. Daher entstand mein Bedürfnis, farbige, kräftige, intensive Bilder anzuschaffen. Bis zu meiner Pensionierung hängte ich stets Kunstwerke in den Büros, in denen ich arbeitete, auf.

Seit einigen Jahren arbeitest du nun als Anwalt und konzentrierst dich dabei auf Künstler*innen. Außerdem stellst du deine Dienste als juristischer Berater auf der Kunstplattform ato zur Verfügung. Wie kann man sich das vorstellen?

Sollten bei den Mitarbeitenden oder Künstler*innen aus dem Netzwerk von ato juristische Probleme auftreten, biete ich mich als erste Anlaufstelle an. Ich höre mir den Fall an und gebe eine Einschätzung, wie man weiter verfahren kann.

Für welche Fälle brennst du?

Das kann alles sein! Urheberrechtsfragen oder Ärger mit Galerist*innen oder mit dem Logistiker*innen, zum Beispiel. Letztlich geht es um die verschiedenen Probleme, denen Künstler*innen im Leben begegnen. In dieser Branche hat die andere Seite oft die stärkeren Druckmittel und an dieser Schnittstelle möchte ich helfen, zu vermitteln. Ich springe aber auch gerne bei privaten Dingen ein.

Weshalb die Spezialisierung auf Akteur*innen aus der Kunst?

Zu vielen Künstler*innen, von denen ich Arbeiten besitze, habe ich ein freundschaftliches Verhältnis. Dadurch ergibt sich immer wieder, dass ich ihnen bei großen oder kleinen Fällen helfe, was sich wiederum in deren Kreisen rumspricht. So hat sich die Anzahl der Mandant*innen aus der Kunstszene immer weiter erhöht. Meistens nehme ich dafür kein Honorar und bekomme stattdessen wunderschöne Arbeiten geschenkt – Künstler*innen sind sehr großzügige Menschen.

Zwei Hände, die sich einer kleinen Skulptur aus Keramik nähern
Die erste Arbeit, die Wolf Richter in jungen Jahren erwarb: Keramik von Jan Bontjes van Beek (1899–1969)

Das werde ich mir merken! Was überhaupt hat deine Leidenschaft für Kunst geweckt? Und wann hast du dein erstes Kunstwerk erworben?

Mein Vater war selbst Bildender Künstler – ich hingegen habe mich schon immer als Konsument gesehen. Ich war keine zwanzig Jahre alt, da habe ich als Student meine erste Arbeit erworben: drei schöne Keramiken von Jan Bontjes van Beek (1899–1969), bis heute zeitlos.
Ein Schlüsselerlebnis hatte ich jedoch in 1986: Auf der Art Cologne begegnete mir ein Bild von Clemens Kaletsch (*1957), das mich einfach nicht losließ. Es machte etwas mit mir. Aber die Idee, das Bild zu kaufen, es für mich zu beanspruchen, kam mir damals gar nicht in den Sinn!

Das ist nicht untypisch…

Ja, denn selbst mit meinen damals 38 Jahren und meinem gutsituierten Beruf wirkten 4.000 Mark für ein Bild viel. Ich fuhr also wieder nach Hause, doch auch dort ging es mir nicht aus dem Kopf. Meine Frau und ich entschieden uns letzten Endes dafür, es zu erwerben – auch wenn ihre erste Frage angesichts des Gemäldes im Wohnzimmer lautete: „Du weißt, dass wir eine neue Waschmaschine brauchen, oder?“ Ein Klassiker, würde ich mal behaupten.

War von da an der Bann gebrochen?

Die erste Hürde ist die höchste Hürde. Ab da begannen wir, alle Kunst, die wir in Galerien sahen, darauf zu prüfen, ob sie zu uns und in unser Wohnzimmer passen würde. Und ob die Arbeit so interessant ist, dass sie ihre Spannung über längere Zeit hält. So haben wir Jahr für Jahr mindestens eine Arbeit gekauft. Es ist unglaublich bereichernd, sich mit Kunst zu umgeben. Man genießt es.

Besitzt ihr auch Werke von Künstler*innen, zu denen ihr keinen persönlichen Bezug habt oder über die ihr gar nichts wisst?

Manche Arbeiten haben wir sozusagen blind gekauft, ja, ohne die/den Künstler*in persönlich kennengelernt zu haben. Auch wussten wir dabei nicht immer, was die Arbeit uns genau vermitteln soll, welche künstlerische Absicht dahintersteckt. 
Mittlerweile stelle ich jedoch fest, dass man es nicht trennen kann: Wenn ich eines der Kunstwerke im Wohnzimmer anschaue, habe ich meine erste Begegnung damit oder mit der/dem Künstler*in unmittelbar vor Augen. Ich kann die Betrachtung gar nicht auf das Werk allein reduzieren. Das macht es aber noch reicher.

Das heißt, der Kontext haftet dem Kunstwerk an. Und manchmal trifft eine Arbeit auch deshalb einen Nerv, weil sie zu der Stimmung oder der Lebenslage, in der man sich selbst in dem Moment befindet, passt. Aber das heißt auch, dass Kunstwerke durchaus eine Halbwertszeit besitzen können, oder? Die Kunst, die mir beispielsweise mit Anfang zwanzig gefiel, würde ich mir heute nicht mehr in die Wohnung hängen. Würdest du sagen, dass alle Kunstwerke, die du gekauft hast, für dich zeitlos sind?

Ich stehe zu all den Arbeiten, ja. Und das, obwohl sich die Seherfahrung über 40 Jahre verändert hat. Aber ich weiß, was du meinst: Manche Arbeiten können wunderschön, sogar sensationell wirken, und doch zu dekorativ sein, als dass sie dich über Jahre beschäftigen können. Sich als Betrachter*in in einem Kunstwerk zu verlieren, weil es eine Spannung aufbaut und diese aufrechterhält – das muss man als Künstler*in erst einmal schaffen.

Wenn ich mich bei dir umschaue, sehe ich Skulpturen aus Holz und aus rostigem Metall, Malereien, Fotografien auf Alu-Dibond, Steine, Keramiken, neonfarbene Plastiken aus Kunstharz… wie vereint man so viele verschiedene Kunstgattungen in einem Wohnzimmer?

Das wechselt durch, auch wenn alles mit der Zeit seinen Platz findet. Der Lichteinfall spielt dabei natürlich keine unwesentliche Rolle, denn Arbeiten können je nach Exposition sehr unterschiedlich wirken. 
Allgemein war uns beim Kaufen der ganzen Werke die Vielfalt sehr wichtig, und das Schöne ist, dass sich die Arbeiten in den Räumen, so voll die Wände auch sein mögen, nicht beißen. Es ist einfach meine Kunst. Und diese zusammenzukomponieren – ich liebe das.

Bist du Künstler*in und hast juristische Fragen oder benötigst du eine juristische Beratung? Dann schau gerne auf Wolf Richters Profil bei ato.