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Es war im Juli 2021, als ich zum ersten Mal die Bilder von Johanna Dumet wahrnahm. In einer gemeinsamen Aktion mit der Galerie König verkaufte Dumet für 24 Stunden eine limitierte Anzahl von Prints für nur 300 €. Das klingt ja fast machbar, habe ich gedacht. Ich verband damals mit Kund*innen der Galerie König (die bei mir noch nicht in Ungnade gefallen war), Menschen, die in eklektisch gefärbten Kaschmirumhängen vor der Markthalle 9 Sauvignon Blanc trinken und in umfunktionierten Fabrikbauten rund um den Landwehrkanal leben. 
300 € hingegen ist ja fast akzessibel, ungefähr eine halbe Miete, ein Preis, bei dem man für einen Moment über einen Kauf nachdenkt, bevor man sich bewusst wird, dass man das keineswegs bezahlen kann. 
Und dann die Verheißung dieses Bildes, von dem man einen Abdruck erwerben konnte: eine pinke Tischdecke, perspektivisch nach vorne gekippt, sodass einem die auf dem Tisch drapierten Meeresfrüchte und Bierflaschen förmlich in die Augen schauen. Seeigel, Langusten, Austern, Jakobsmuscheln, ein überdimensionierter Krebs. Ein gelber Aschenbecher, in dem die Zigaretten noch schwelen (vermutlich Parisienne oder Gauloises), Spielkarten, Gläser. Auf einer der Bierflaschen der Aufdruck La petite bière bien fraiche. Ja, nicht nur nach diesem frischen kleinen Bier sehnte ich mich mitten im ersten Pandemiesommer, sondern auch nach diesen klaren Farben, dem blauen Himmel hinter der Tischdecke, sogar nach den Langusten, obwohl ich allergisch bin. Vor allem aber entwickelte ich eine Fantasie von einem solchen Nachmittag, verbracht mit interessanten Menschen, Johanna Dumet und ihren Freunden: französisch, kreativ, schön, gut gekleidet.

Gemälde von Johanna Dumet an einer Wand.
Johanna Dumet, La vie en rouge, 2021, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin & KÖNIG GALERIE, Foto von Roman März

Aber wer ist denn eigentlich Johanna Dumet? Die 1991 in Frankreich geborene und seit 10 Jahren in Berlin lebende Malerin stellt in Galerien wie König und Kewenig aus. Ihre Bilder, meist Stillleben von Lebensmitteln oder Gebrauchsgegenständen, erzielen inzwischen hohe Verkaufspreise. Viele werden sie aber von ihrem Instagram-Auftritt kennen, der mit ihrer Verkaufsstrategie eng verstrickt ist: Hier postet sie nicht nur für 40.000 Follower*innen ihre Bilder, weist auf neue Ausstellungen hin, nein, sie gewährt auch einen Blick hinter die Kulissen.
Johanna Dumet in einem Outfit des Denim Herstellers CLOSED und mit einer Hermes Handtasche in einem Museum. Johanna Dumet geschminkt mit Dr. Hauschka Kosmetik in ihrem Atelier. Johanna Dumet in einem weißen Ami Paris Pullover, das Logo der Firma perfekt abgestimmt auf ihr im Hintergrund sichtbares Gemälde Le château impossible. 
Kurz: Johanna Dumet ist eine Malerin, wie sie sich Sex and the City in den 2000er erträumt hätte: erfolgreich, brand conscious, chic.

Vor ein paar Monaten erlebte ich auf einmal einen Irritationsmoment mit diesem Image, diesen Bildern. Die Gemälde, die ich lange bewundert hatte und die Garderobe, die ich neidvoll angeschmachtet hatte, gingen mir ein bisschen auf die Nerven. Bevor ich so recht sagen konnte, weshalb, war ich Dumet auf Instagram entfolgt. Ich hatte schon länger nicht mehr an sie gedacht, als ich in einem Buchladen in Wilmersdorf stand und mein Blick auf Teresa Präauers neuen Roman Kochen im falschen Jahrhundert fiel. Das Cover des bei Wallstein erschienen Buchs erinnerte mich nicht zufällig an Dumet, sie findet im Roman auch namentlich Erwähnung: 

(…) so wie die jungen Frauen jetzt malten, die ihre Bilder, Ateliers, Esstische und Handtaschen in bunten Wimmelbildern auf Instagram zeigten. Wer hätte vor wenigen Jahren vorhersagen können, dass der Expressionismus in einer Art Wohlfühlvariante zurückkehren würde?

Oder dass die Plakate von Hans Arp in den dekorierten Zimmern der Influencer hängen würden?

Erwachten die Bilder hundert Jahre später wieder zu neuem Leben? Die Gastgeberin begann im Verborgenen den Knoten ihrer Schürze in der Taille zu lösen. Was trug eigentlich diese Johanna Dumet beim Malen? Während ihre Gäste sich über Männer und Frauen unterhielten in einer Sprache aus einer vergangenen Zeit, scrollte die Gastgeberin rasch durch deren Fotos im Internet. Die junge Malerin in blassblauer Seidenunterwäsche im Atelier, darüber nur einen grünen Ledermantel mit Pelzkragen. Das Haar unfrisiert. Ihr Internetauftritt war genial.

Ich habe laut aufgelacht, als ich das gelesen habe – und bin mir gleichzeitig selbst auf die Spur gekommen: Ich habe keine Lust mehr auf diese Verheißung eines schicken Lebens. In der ZEIT hat die Journalistin Annekathrin Kohout für Dumet und andere Künstler*innen den Begriff „Kunstmarkt-Influencer*innen“ gefunden, was nicht nur wegen der großen Reichweite akkurat ist, sondern weil Künstler*innen wie Dumet oder Leon Löwentraut nicht nur Kunst verkaufen, sondern auch einen Lifestyle. Es geht nicht nur darum, coole Kunst zu produzieren, die an den Wänden cooler Altbauten über dem Esstisch hängen, nein, es geht auch darum, wie man dabei aussieht und wer alles zusieht. Die Bilder haben ihren ganz eigenen, aspirativen Charakter, nicht nur wegen der Luxusgüter, die sie häufig darstellen, sondern auch wegen des Laissez-faire-Gefühls, dass sich über sie vermittelt. Sie enthalten nicht nur Kaufempfehlungen von Designertaschen, als wären sie gemalte Werbeanzeigen, sondern scheinen auch von einem unbeschwerten, hedonistisch-angehauchten Lebensstil zu zeugen. Dieser Luxus ist ein zurückgenommener, tugendhafter, der das einfache Leben zelebriert. Ein paar Meeresfrüchte, ein paar Bier, gute Freunde. Ein Lebensstil, den viele zu Recht anstreben.
Gleichzeitig ist diese Vision des guten Lebens in Dumets Bildern, ähnlich wie bei Influencer*innen, die einen Werbepost machen, von Konsumentscheidungen nicht zu trennen. Wer die richtigen Dinge kauft, hat guten Geschmack, wer guten Geschmack hat, macht etwas richtig. 

Das Bedürfnis, das der Social-Media-Auftritt von Dumet in mir auslöst, ist von dem, welches ein TikTok-Video in mir auslöst, kaum zu unterscheiden. Am Ende denke ich in beiden Fällen: Vielleicht wird ein Aesop-Duschgel mein Leben DOCH verändern, vielleicht werden diese Sardinen für 13 € mir und meinen Gästen den perfekten Abend bereiten. Das ist kein gutes Gefühl, sondern ein altbekannter Trugschluss, der für einen Moment aber allzu überzeugend scheint. Dafür kann Johanna Dumet nun wirklich nichts und an sie den Vorwurf zu richten, sie sei gar nicht an einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Kunstbetrieb oder dem Kapitalismus interessiert, ist lächerlich. Dumet malt mit, nicht gegen den Kapitalismus.

Die Frage, die ich mir stelle, sollte viel eher lauten: Warum finde ich das geil? 
Mein erster Impuls wäre zu sagen, dass es vertraut ist: Ich verbringe sehr viel Zeit im Internet, sehr viel Zeit mit Pinterest-Boards, die mir eine Vision des guten Lebens verkaufen, die der in Johanna Dumets Bildern sehr ähnelt. Kunst und Content liegen hier so nah beieinander, dass die ästhetische Erfahrung sehr zugänglich ist: Daran Gefallen zu finden ist ähnlich intuitiv wie die Schönheit in Monets Seerosen zu erkennen. Dazu kommt auch noch die Vertrautheit des malerischen Stils: Über den Gemälden hängt ein Hauch Matisse, den ich schon in vielen Museen gesehen habe und der ebenfalls meinen Geschmack getroffen hat. 
Zugänglichkeit in der Kunst ist aber ja kein Problem, sondern äußerst begrüßenswert. Schon häufig habe ich sie mir gewünscht, wenn ich ratlos vor einer Videoinstallation stand. Nur möchte ich Zugänglichkeit um jeden Preis?

Claude Monet, The Water Lily Pond, W.1897

In den letzten Jahren ist es mir zur Gewohnheit geworden, mich zu fragen, was ich mir von Kunst (im weitesten Sinne) eigentlich erhoffe.
Wenn man, wie ich, Literaturwissenschaft studiert, wird einem ständig die Frage gestellt: Warum beschäftigst du dich eigentlich damit? Im ersten Semester sagt man „Ich lese gerne“ zu den Profs, auf Partys entgegnet man den BWLer*innen trocken „Weil ich viel Geld verdienen will“ – und nachts im stillen Kämmerlein findet man nicht so recht eine Antwort. 

Weil ich ein Mensch mit Hang zum Kitsch bin, denke ich häufig an den allzu oft zitierten Satz, den Kafka 1904 in einem Brief an Oskar Pollak schrieb: „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“ Wenn ihr diesen Satz zum ersten mal lest, beglückwünsche ich euch, denn ich glaube, das ist die einzige Chance, die man hat, ihn wirklich auf sich wirken zu lassen, bevor er überladen wird.
In den vergangenen Jahren hat mich dieser Satz, trotz all seiner Kitschigkeit (die er übrigens in voller Länge gar nicht hat), zu meinem eigenen Verständnis von Kunst geführt: Ich erhoffe mir von Kunst, dass sie infrage stellt, was ich für selbstverständlich halte und nicht endlos den Lebensentwurf bestätigt, der sowieso am nächsten liegt. Und das ist vielleicht das, was mich am Ende von der Kunst von Johanna Dumet abgebracht hat: Sobald ich meinem Geschmack nicht mehr blind vertraut habe, ist mir die Abwesenheit von Fragen in dieser Kunst aufgefallen.